Was waren das nur für Zeiten, vor über vier Jahrhunderten, im Jahr 1593? Was haben die Menschen damals geleistet? Was waren das für Menschen? Waren die anders als wir heute? So viele Fragen!
Das Gelände am Schniederlihof ist steil abfallend. Es gibt keine ebene Fläche. Aber ein Wolff Schneller hatte sich vorgenommen, dort oben, auf über tausend Metern Höhe, wo kein Getreide wächst, wo der Winter ein halbes Jahr dauern kann, wo es nur Fußpfade hinunter nach Freiburg gab, ein Haus zu bauen.
Wie groß muss die Not gewesen sein, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen? Oder muss man so denken: Wie groß war die handwerkliche Kunst, so etwas in die Tat umsetzen zu können!
Der Silberbergbau am Schauinsland brachte nicht mehr viel ein. Die oberflächlichen Erzlager in Hofsgrund waren fast ausgebeutet, und die Entdeckung Amerikas hundert Jahre zuvor hatte Europa mit Edelmetall geradezu überschwemmt. Es blieb hier oben die Landwirtschaft, die nur auf einer Pflanze beruhen konnte: Gras, das die Kühe in Milch verwandeln. Und es war ein Platz geblieben, der zu den glorreichen Zeiten gehörte, als Freiburg mit dem Silber aus dem Schauinsland zu so viel Wohlstand gelangt war, dass seine Bürger auf eigene Kosten eine riesige Kirche bauen konnten, die bis heute stolz aufragt und ihrerseits von der Kunstfertigkeit der Menschen in längst vergangener Zeit spricht. Da setzten Steinmetze in über hundert Metern herrlichster Höhe dem Turm wirklich die Krone auf!
Jener Wolff Schneller entschloss sich also, hier oben in unwirtlicher Höhe seine eigene Kunstfertigkeit und die seiner Leute einzusetzen. Was er hatte, war immerhin dieser Platz, ein "Kohlplatz". Der war wie folgt ausgemessen:
„Wolff Schneller, Gibt Von einem
Newen Außgesteckten Kohl Platz Am Etzschelbacher
berg, Zu Oberst ist Im An ein Rotte
Dannen, ein Lochen geschlagen worden. Von
derselben biß An das bächlin, Vnd Schwartz
Dannen, Von solcher biß An ein Kleines Vnd
Dannlin Herab gegen Georg barttlen Ist
Vngeuor bey Drey Jauchardt Veldts
Namblichen Zehen schilling.“
Wenn der Besitz „ungefähr drei Jauchert“ umfasste, auch ein Joch oder Tagwerk genannt, nahm er als Fläche etwas mehr als 100 mal 100 Meter ein. Drei Jauchert hätten nicht mehr als eine Kuh ernährt.
Der Platz hatte dazu gedient, Holzkohle herzustellen, für den Bergbau in Hofsgrund. Die Knappen brauchten die enorme Hitze des Feuers, um das Erz aus dem Gestein zu schmelzen. Nun lohnte sich das fast nicht mehr, was aber für Wolff Schneller vielleicht von Vorteil war. Denn es musste zuerst der Platz präpariert werden, auf dem der Hof stehen konnte. Eine sprudelnde Quelle zur Wasserversorgung war schon gefunden.
Als Erstes galt es also, auf der Bergseite weiter den Stein abzutragen, um damit zugleich den Keller zu bauen und eine große ebene Fläche zu schaffen. Wie lange wurde dazu wohl gepickelt und geschaufelt? Der Berg hier oben besteht aus Gneis, aus härtestem Gestein, vor Urzeiten tief unter der Erde zusammengeschmolzen. Die Bergleute, ausgerüstet mit Schlägel und Eisen, waren in den Minen zu jener Zeit immer nur zwei bis drei Zentimeter am Tag vorwärts gekommen. Wenigstens war unter dem Kohlplatz der Fels schon brüchig und locker. Zugleich musste mit dem Stein auf der Bergseite eine Mauer errichtet werden, um den Hang abzustützen. Dort sind Steine verbaut, die wiegen mal eben ein paar Zentner.
Wenn dann der Hausbau endlich beginnen konnte, wie muss man sich das vorstellen? Da mussten Dutzende ganze Fichten herangeschafft werden, wohl an die zehn Klafter Holz. Mit Sicherheit stellten andere Bauern dafür ihre Zugtiere bereit, vielleicht auch einen Hengst oder einen Wallach, um die wirklich schweren Stämme zu ziehen. Und Schneller und seine Leute hatten einen Ochsen. Musste der dann für seine Arbeit wirklich mit dem Leben bezahlen? So heißt es. Er war nun mal ein Nutztier, und dass man ihn über den Winter gebracht hätte? Das hätte sich wohl schlicht nicht gelohnt.
Ob der Ochse vorher noch beim Hausbau geholfen hatte? Das könnte man sich vorstellen, denn war der Boden erst bereitet und die Kunstmauer für die Trennung von Stube und Küche errichtet, stand die Arbeit der Zimmerleute an. Die hatten schon wochenlang fast alle benötigten Hölzer mit Säge und Beil in Form gebracht. Natürlich gingen sie dabei nach Plan vor. Aber ob sie den auf Papier oder im Kopf hatten? Immerhin mussten sie jedes Schwarzwaldhaus an die jeweiligen Bedingungen anpassen, hier insbesondere: Für Mensch und Tier konnte es nur einen Eingang geben, und zwar auf der Schönwetterseite, ausgerichtet nach Osten zum Feldberg.
Der erste, wichtigste Arbeitsgang war das Aufrichten der Hochsäulen, ganzer behauener Baumstämme, die in einem Schwellenrost unten im Boden eingezapft wurden und das ganze Haus tragen. Das muss organisiert gewesen sein wie beim Maibaumaufstellen. Vielleicht war das die letzte Arbeit für den Ochsen.
Dann ging es darum, die übrigen Ständer aufzurichten und in diese alle Pfetten einzupassen, für die Wände und das Dach, möglichst immer bei ruhigem Wetter, jedenfalls keinem starken Wind, wie er so oft über die Höhen des Schauinslands fegt. Schließlich konnte die ganze hölzerne Struktur ausgefacht werden, an den Außenwänden mit Kanthölzern, im Inneren mit Bohlen und Brettern.
Endlich stand das Gerüst des Hauses, ein kleines Wunderwerk an Handwerkskunst. Beim Richtfest half dann zum letzten Mal der Ochse. All die Handwerker, von denen die meisten nun anderen Arbeiten nachgingen – welche Stücke verspeisten sie wohl am liebsten von ihm? Es gab dann jedenfalls ein Riesenfest, ein Schlachtfest.
Den Ochsenkopf legten die Leute zur Seite, kochten ihn bestimmt noch aus, für einen Kessel fettige Suppe, damit der Schädel sauber für alle Zeiten zur Verfügung stehe. Er hängt oben in der Tenne, an einer Hochsäule unter dem First, und hat das Haus nun seit Jahrhunderten gegen Dämonen und böse Geister geschützt.
Was nun noch anstand, war die eintönigste Arbeit: Das ganze Haus musste mit Schindeln gedeckt werden, immer vier Lagen übereinander, verbunden mit Holzdübeln, insgesamt an die 35.000 Stück. Und was für eine noch eintönigere Arbeit war dem vorausgegangen? So viele Männer mussten sich jeden Tag an den Schniedesel setzen und aus Fichtenstämmen, in Trommeln gesägt, Schindeln machen. Wer schnell war, schaffte wohl fünfzig oder mehr in einer Stunde.
Immer galt es, gegen die Zeit zu arbeiten, dass also das Haus stand und dicht war, ehe ab Oktober der Winter mit Schnee und noch mehr Schnee Einzug hielt. In Europa herrschte damals die kleine Eiszeit. In Holland konnten im Winter alle Grachten zum Transport genutzt werden, weil sie zuverlässig zugefroren waren. Wie kalt muss es dann oben auf dem Schauinsland gewesen sein, besonders wenn bei Hochdrucklage der dünne Wind ging, immer bei Minustemperaturen, gefühlt noch einmal zehn Grad kälter?
Und heute? Wie haben sich die Zeiten gewandelt. Auch heute wird ein Haus in einer Saison gebaut, doch wie anders! Heute wird Beton angerührt, und die Zimmermannskunst von ehedem zählt fast nicht mehr. Die damit verbundene Zeit galt es zu überwinden. In den Siebziger Jahren wurde manchmal nur noch eine Bewegung ausgeführt, um die ganze alte Kunst zu beenden. Die Feuerwehr stand bereit, wenn der Besitzer seines Hofes ein Streichholz anriss. Was für ein unglaubliches Feuer dann zu bestaunen war, genährt von jahrhundertealtem Holz in bester Qualität, alles ursprünglich handbebeilt. Ob einigen da doch kalt ums Herz wurde?
Aber was für ein Abenteuer das wohl gewesen sein muss!
© Andreas Venzke
Januar 2024