In der guten Stube hängt neben der Tür zum Schlafzimmer rechts eine alte Uhr. Sie hat nicht notwendigerweise mit dem Schniederlihof zu tun, aber sie passt in Raum und Zeit. Die Uhr ist nicht nur handgemacht, sondern im Ganzen aus Holz gefertigt – bis auf ein Teil: Einen faustgroßen Stein als Speicher der potentiellen Energie.
Was wohl, von dem Stein mal abgesehen, das Besondere an dieser Uhr sei, fragt der Verwalter des Hofs auf einer seiner Führungen rhetorisch in die Runde, und eine junge Frau verweist auf die Ziffernblätter. Das sind römische Zeichen, erfährt sie, wie es auf solchen alten Uhren üblich war, sogar mit vier Strichen für die 4, obwohl das eigentlich als ein Strich vor einem V geschrieben sein müsste. Aber auch das sei üblich gewesen.
Sonst? Ja, die Uhr hat oben einen Balken, der hin und her schwingt, genannt die Waag, die einen gleichmäßigen Gang erzeugt. Daher ihr Name: Waagbalkenuhr. Aber wie sie genau funktioniere, sagt der Verwalter, wisse er leider nicht.
Und außerdem? Die Uhr hat, sagt endlich ein Kind, das in diesen digital mobil degenerierten Zeiten tatsächlich gespannt zuhört, nur einen Zeiger.
So ist es, bestätigt der Verwalter, sie hat nur einen Zeiger – genauso wie die große Uhr am Freiburger Münster, die für die ganze Stadt die Zeit vorgab.
Er verliert sich nun in einigen Ausführungen, schon um wirklich einmal Ruhe und sogar Stille herzustellen. Denn so eine Uhr erfüllt einen Raum mit einer ganz besonderen Kraft. Wenn man auf das Ticken höre, sagt er, dann entspricht es fast unserem Herzschlag, dem in Ruhe. Zählen Sie einmal mit!
Sie könnte das Ticken einer Uhr im Raum nicht ertragen, platzt es da laut aus einer Frau heraus.
Wie um die Stille zu verteidigen, sagt der Verwalter mit gedämpfter Stimme: Sind wir nicht mit dem Ticken einer Uhr großgeworden, steckt das nicht natürlich in uns drin? Sogar das Schlagen einer Standuhr nehme man irgendwann nur noch sozusagen nebenher wahr, oder im Unterbewusstsein. Auch im Schlaf störe es eigentlich nicht.
Als sich die Frau dagegen geradezu kreischend wehrt, also, da könnte sie kein Auge zumachen, das würde ihr so auf die Nerven gehen, sie würde sofort das Pendel anhalten, versucht der Verwalter zu erklären, wie so eine Uhr ein Ausdruck der Zeit gewesen sei, dass die Menschen nämlich noch anders getaktet waren, dass „Minuten“ im Leben der allgemeinen Bevölkerung gar nicht vorkamen, geschweige „Sekunden“ – da kommt eine Besucherin in die gute Stube gestürmt und ruft: „Schnell, wir müssen auf den nächsten Bus, um 14.58!“
Das passt zum Thema wie die Faust aufs Auge, denkt sich der Verwalter, sagt es aber nicht, zumal die Frau noch eine Bewegung macht, die es in einiger Zeit vielleicht gar nicht mehr geben wird. Sie pocht mit dem Zeigefinger auf die Oberseite ihres Handgelenks. Doch da sind alle Besucher schon aufgestanden, bereit zum Abmarsch.
Als sich der Raum geleert hat, atmet der Verwalter in aller Ruhe tief durch.
© Andreas Venzke