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Weiß der Geier!

Aus: DHV-info 129

Samstag 22. Februar 2014, von Andreas Venzke

Geier

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Andreas Venzke: Weiß der Geier!

Wieder kann ich mir in diesem Jahr nicht Réunion oder Namibia zum Fliegen leisten und so habe ich mich ein weiteres Mal zu unserem guten alten Freiburger Schatzkästlein und Hausberg aufgemacht, dem Schauinsland, berühmt für die Schönheit seiner Bäume und die Landungen in ihnen. Endlich in der Luft, habe ich es dann auch wieder über die Mittelstation geschafft, oder eben nur bis dahin, und innerlich läuft schon das Landeprogramm ab. Plötzlich sehe ich vor mir zwei Geier kreisen. In Wirklichkeit sind es natürlich Falken oder Bussarde oder Habichte – oder weiß der Kuckuck, der aber sowieso nichts weiß, nicht einmal von der Brutpflege und von der Thermik auch nicht. Jedenfalls kreisen da zwei Geier, die vielleicht nicht nur im Schwarzwald durchgehend so heißen, einfach weil kaum jemand sagen kann, was für Vögel das jeweils sind. Es ist später Nachmittag im Sommer, gerade am Schauinsland eigentlich gute Bedingungen um Thermik zu finden. Nur ist oben seit Tagen der Deckel drauf und unter der Inversion bleibt die kochende Brühe in jeder Schichtung gleich heiß. Tatsächlich machen die beiden Geier Höhe, langsam, aber immerhin. Schon bin ich bei ihnen und, rücksichtsvoll wie es meine Art ist, steige ich in ihre Drehrichtung ein, obwohl die mir nicht so liegt. Dann drehen wir wirklich gemeinsam. Ich glotze dabei zu ihnen und sie glotzen zu mir. So schön geht es plötzlich hoch, so frei fühle ich mich – sogar noch freier als die Geier, wenn ich sehe, wie ihre Hände in den Flügeln versteckt sind und ich die meinen für alles Mögliche zur Verfügung habe, etwa zum Fotografieren, das können sie bestimmt nicht. Was mir bei diesem Blickkontakt der anderen Art so alles durch den Kopf geht! Danke, ihr Brüder, denke ich, dass ihr mir den Einstieg gezeigt habt. Dafür würde ich euch gern eine leckere Maus zuwerfen, aber ich habe gerade keine dabei. Und wie es so langsam aufwärts geht, fange ich plötzlich zu philosophieren an, während ich sehe, wie die Geier unter mir zurückbleiben: Wie haben wir Menschen es doch so herrlich weit gebracht! Nur mit unserem Verstand machen wir aus, dass ich hier mit euch Geiern zusammen kreisen kann und, ja, euch sogar übertreffe! Obwohl wir von der Natur nicht entsprechend ausgestattet sind, erobern wir uns doch die Orte, die sie uns nicht zugewiesen hat! Mich zieht es in einen regelrechten Strudel hinein, zusammen mit meinem thermischen Kreisen hinein auch in euphorische gedankliche Bahnen über die rational bedingte Überlegenheit des Menschen, über seine begriffliche Freiheit, die ihm mittels Erkenntnisprozessen sogar die Freiheit des Fliegens verschaffen hat. Wie da jeder Instinkt wahrlich zurückbleiben muss! Und in welche Höhen habe ich mich gerade geschwungen, nicht nur gedanklich! An dieser Stelle frage ich mich dann, wo eigentlich meine hilfreichen Einstiegshilfen geblieben sind. Ich schaue nach unten und finde sie nicht. Wie ich so suche, falle ich aus dem Bart – oder hat den plötzlich jemand abgeschnitten? Noch fünf Minuten kreise ich umher und suche und sinke und sinke und suche. Als ich dann doch landen muss, schaue ich noch einmal in den Himmel, ob nicht andere Flieger Höhe gemacht haben – da sehe ich, wie über mir meine beiden Geier als winzige Punkte umeinander drehen. So voller Demut wie an diesem Tag bin ich noch nie gelandet.

Copyright: Andreas Venzke