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Brief an ein Vereinsmitglied

Montag 10. Februar 2014, von Andreas Venzke

30. Okt. 2007

Liebe Ch.,

seit letztem Mittwoch bin ich aus dem Krankenhaus zurück. Bis dahin
durfte ich die Vorzüge der italienischen und deutschen Medizin
kennenlernen: In Deutschland hätten sie mich sofort am Rücken operiert,
mit vollem Programm, vorn und hinten aufschneiden, Material aus der
Hüfte holen, Wirbel verschrauben, Rückgrat versteifen. In Italien hieß es
dazu: Die deutschen Ärzte zementieren immer alles ein. Na ja, auf jeden
Fall habe ich drei gebrochene Wirbel in der Wirbelsäule, außerdem
abgeplatzte Knochenteile im Rückenmarkskanal, dazu einen Trümmerbruch
im rechten Handgelenk. Aber alles wird wieder gut. Nur muss ich noch zwei
oder drei Monate ein Korsett tragen, habe also am Rücken zum Glück nur
eine konservative Behandlung, wie das heißt, ohne Operation. Wenn’s
weiter nichts ist!

Und so ist der Unfall passiert: Ich bin am 3. Sept. in Semonzo am Monte
Grappa bei Westwind und recht kräftiger Thermik etwa um 16 Uhr
gestartet. Erst in der Luft sah ich, dass mein Gurtzeug vertikal einmal
um 360 Grad verdreht war, so als wenn man im Sitz einen Überschlag
macht, was einem ja manchmal vorgeführt wird. Der Grund war, dass ich
den Sitz nie von den Leinen löse, um immer gleich startbereit zu sein.
Beim Start war ich meine Routinen durchgegangen, wobei ich durchaus
merkte, dass die Leinen nicht ganz richtig liefen. Als dann aber der
Schirm gleich gut hochkam und schön stand, bin ich auch gestartet. So
merkte ich mein kleines Malheur erst in der Luft. Trotzdem nichts
Schlimmes, wusste ich, weil ich die Bremsen frei hatte und die Flug-
eigenschaften des Schirms nicht eingeschränkt waren. Nur konnte ich
den Beschleuniger nicht so gut treten. Also beschloss ich vorsichts-
halber, den Flug abzubrechen und einzulanden. Am Landeplatz in
Semonzo herrschte allerdings Westwind vor, so dass ich quer zur
Landebahn einlanden musste bzw. wollte. Ich bin über den dortigen
Häusern abgeschlauft und weiß noch, dass ich mir gesagt habe: Steh nicht
zu sehr auf den Bremsen! Lass den Schirm fliegen! Als ich mich dann mit
viel Platz zum Aufsetzen gerade über der Landebahn befand, lag ich
plötzlich auf dem Boden. Ich bin aus einer Höhe von etwa 5 m wie ein
Stein gefallen. Am Schirm muss von einem Moment auf den anderen die
Strömung komplett abgerissen sein. Ich kann mir das Geschehen nur so
erklären, dass den Schirm im letzten Moment eine thermische Ablösung
getroffen hat – wobei ich doch relativ stark auf den Bremsen gestanden
haben muss.

Nun habe ich also wirklich Glück im Unglück gehabt: Ich hätte für den
Rest meiner Tage im Rollstuhl sitzen können. Deswegen geht es mir auch
wirklich gut, so seltsam das klingen mag: Für mich fängt gerade mein
zweites Leben an. Den Vorgang meines Absturzes halte ich dabei nun
jedoch für so unberechenbar, dass ich weiß: Nach nunmehr sieben Jahren
ist das Gleitschirmfliegen für mich beendet. Ich hatte bereits vor drei
Jahren einmal Riesenglück, als ich am Kandel negativ drehte und
abstürzte: Damals lag alle Schuld komplett bei mir: Ich war gestartet
bei starkem überregionalen Wind, bei starker Thermik, ich hatte einen
Knoten in einer Bremsleine, hatte einen zu großen Schirm mit viel zu
geringer Flächenbelastung und wollte auch noch am Hang eindrehen.
Diesmal: Ich muss ein wenig zu stark gebremst haben, wobei ich auch
nicht einen Moment das Gefühl hatte, die Bremsen würden sich hart
anfühlen. Mit den drei Kindern, die ich inzwischen habe, will ich mir
dieses Extra-Risiko des Fliegens nicht mehr leisten. Natürlich ist
das Gleitschirmfliegen im Vergleich nicht so gefährlich, nur weiß ich
auch, wie viele ich inzwischen kenne, die mehr oder weniger schwer
"eingebombt" sind. Ich für mich kann das nun nicht weiter verantworten.
Und vielleicht bin ich fürs Gleitschirmfliegen auch nicht vernünftig
genug, vielleicht nach wie vor zu draufgängerisch und impulsiv.

Ich wünsche euch allen weiterhin viel Spaß beim Fliegen. Auch mein Fall
wird vielleicht dazu beitragen, sich der Risiken des Gleitschirmfliegens
bewusst zu bleiben.

Viele Grüße
Andreas