Wie er das gemacht hat? Er hat nichts anderes gemacht als das, was er ein wenig kann: Einen Text verfassen. Und auch wenn der nichts besonderes ist, hat sich daran exemplarisch gezeigt, was Buchstaben auf dem Papier oder in diesem Fall – weil es das kaum noch gibt – auf dem Display bewirken können.
Was für ein beeindruckendes Bild es ist, vom Freiburger Münster auf den bebauten Schlossberg mit seinem gewaltigen Turm zu blicken, geradezu dem Pendant zum Münsterturm. Da haben die Stadtväter und heute ja vor allem auch die Stadtmütter wirklich mal was gewagt: Man kann sich kaum noch vorstellen, wie Freiburg damals aussah, ehe A. V. darauf aufmerksam machte, was der Stadt in der Neuzeit fehlte. Wie geduckt sie unten um ihre Kirche herum lag! Wie ein Ölfleck hatte sie sich in die Ebene nach Westen ausgebreitet, schönsten Boden hatten die Stadtoberen dafür geopfert, die Bauern vertrieben. Öl kann nun mal die Höhe nicht erreichen, auch Wasser nicht, das aber die Ebene bedroht. Deswegen hatten sie zur Sicherung ihrer westlichen Stadtteile sogar riesige Mengen an Boden aufgeschüttet und an den Hängen des Schwarzwaldes talsperrengroße Rückhaltebecken errichtet. Aber den Kopf zu heben und in die Höhe zu schauen, dazu waren sie nicht in der Lage. Dafür hatten sie den nicht. Sie wollten ja sogar eine Autobahn unterirdisch durch ihre Stadt bauen.
Sie hätten nur mal auf den Turm ihres Münsters steigen müssen, sich umsehen, wie seine Erbauer – und erkannt: Mit erhabenem Blick in Richtung Osten, zur aufgehenden Sonne, so schön durch die Lage des Münsterchores angezeigt, hätten sie die Leere gesehen, die es zu füllen galt. Aber da hatte man ja den Wald wachsen lassen! Sie hätten auch nur den Namen ihrer Stadt mal laut vor sich hinsprechen müssen. Aber sie wollten nicht sehen. In dieser ganzen Sache waren sie blind, geschichtsblind sowieso. So musste dieser Zugezogene ran und ihnen die Augen öffnen.
Wie lange hatte es denn gedauert, dass die Stadt ohne das war, was ihren Namen ausmacht, was 1567 Sebastian Münster wie selbstverständlich in seiner Cosmographey "mit hübschen Figuren und Landtafeln gezieret" hat?
1745 war es gewesen, da ließen die Franzosen in dem von ihnen endgültig geräumten Freiburg ihre riesige, von Vauban in Perfektion errichtete Festungsanlage komplett schleifen, wie das ja hieß. Wie man sich das vorstellen muss? Sie haben alles mit Sprengstoff niedergelegt. Über Jahrzehnte war der „Schlossberg“ und die Gegenden vor den zerstörten Befestigungsbastionen eine Trümmerwüste bzw. Steinbruch für die sich neu entwickelnde Stadt geblieben. Die Burg Freiburgs aber hatte man nicht wiedererstehen lassen. Den Berg, auf dem sie (und alle ihre Nachfolgerinnen) einst thronte, hatte man sich selbst überlassen, kaum noch vom Menschen gestaltet, bis auf ein paar Parkwege und einen Hang mit Weinbau.
Und heute? Auch wenn der, der die neue Entwicklung angestoßen hatte, nicht mehr erleben durfte, was er mit einem einfachen Text bewirkt hatte, kann sich das Resultat nun sehen lassen. Dieses Gebäude ist wieder das, was dem Namen der Stadt Ehre macht: Dominant, markant, imposant, darum herum so viele lustige Gebäude in solcher Vielfalt. 116 Meter steigt der Burgturm auf, genauso wie sein bald 900 Jahre alter Bruder im Tal, ein schönster Donjon der Moderne. Und erst die Burganlage: Angelegt wie der Münsterplatz in neuer Form, die Gebäude im Oval geordnet, aber mit Winkeln, Ecken und Kanten, zum Genuss von Sonne und Höllentäler, und zum Schutz davor. Fast tausend Jahre nach seiner Gründung ist Freiburg endlich wieder komplett.
Den Buchstaben sei gedankt!
© Andreas Venzke
Freiburg, den 21. 9. 2020