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Christoph Kolumbus

Rowohlt-Verlag 2019

Dienstag 24. März 2020, von Andreas Venzke

Nun als E-Book herausgebracht, noch immer aktuell ...

Ausgelöst durch die Black-Lives-Matter-Bewegung wurden in den USA, aber auch in anderen Teilen der westlichen Welt, Denkmale berühmter geschichtlicher Persönlichkeiten gestürzt. Dazu zählte etwa der Präsident Jefferson Davis und der General Robert E. Lee, zentrale Gestalten der Sklavenhaltergesellschaft der Südstaaten.
Und immer wieder tauchte auch der Name desjenigen auf, den wirklich jeder kennt: Christoph Kolumbus, der „Entdecker Amerikas“. Seine Statue wurden etwa in Boston gestürzt, einem der wichtigsten europäischen Siedlungsorte nach der Entdeckung Amerikas, genauer: „enthauptet“, aber auch in Baltimore und Richmond und anderen Städten.
Können wir heutigen Zeitgenossen wirklich darüber richten, was historische Gestalten angerichtet haben? Kann man auch Georg Washington dafür verdammen, sozusagen im Schatten seiner absolut aufgeklärten Geisteshaltung Sklavenhalter gewesen zu sein? Oder Winston Churchill dafür, sein Land und damit Europa und den Rest der Welt an vorderster Front gegen das Nazibarbarentum verteidigt zu haben, aber zugleich ein fürchterlicher Rassist gewesen zu sein? Sollen wir heute nur noch als Vorbild anerkennen, wer als historisch bedeutende Person sittlich eine reine Weste hatte?
Was Kolumbus angeht: Was kann denn der dafür, dass sozusagen im Kielwasser seiner „Entdeckung“ Millionen von Menschen ihr Leben lassen mussten? So wird in seinem Fall bis heute – polemisch – gefragt. Und hat nicht in der Folge seiner Tat ganz Amerika die europäische Zivilisation angenommen?
Tatsächlich kann (und muss) man hier auch heute noch aufklären, ist doch in seinem Fall die weiße Weste völlig verdreckt.
Um Kolumbus ist ein solcher Nimbus geschaffen worden, dass den meisten Zeitgenossen immer noch nicht bekannt ist, dass er eben nicht nur der „Entdecker Amerikas“ war, sondern jemand, der durch seinen vermeintlich leichten Zugang nach Ostasien sein Leben auf eine ganz neue Stufe stellen wollte, nämlich Herrscher über die von ihm entdeckten Gebiete zu sein. Und dazu war er bereit, auch über Leichen zu gehen. Das Bild des Kolumbus ist wirklich der Inbegriff für eine Denkmalskultur, die fragwürdig ist, bezeichnend jedoch für die europäische Kolonialzeit. Aber ihn deswegen stürzen?
Vielleicht passt zu dieser Auseinandersetzung, dass vor kurzem ein Buch wieder neu erschienen ist, ganz modern als E-Book, worin die Rolle des Kolumbus exemplarisch beleuchtet wird.

Andreas Venzke: Christoph Kolumbus

So kann sich jeder selbst ein Bild machen – und mal skeptischen Gemüts den nächstgelegenen Kolumbus-Gedenkort aufsuchen. Er wird überall leicht zu finden sein.
Dazu hier der Auszug:

 

Exkurs: Einige Anmerkungen zur Kolonisationsgeschichte Amerikas

Im gesamten Raum der Karibik lebten vor der Ankunft der Europäer etwa 750000 Menschen, wenigstens ein Drittel davon auf Hispaniola. Der größte Teil der Bevölkerung zählte zu den Aruak, einem friedlichen Indianervolk, das heutzutage als ausgerottet gilt. Einen geringen Teil machten die Kariben aus, die aufgrund ihrer isolierten Siedlungsgebiete und ihrer Bereitschaft zum Widerstand der Vernichtung um etliche Jahrzehnte entgingen. Der Kannibalismus, den sie praktizierten, lieferte jedoch bald eine äußerst willkommene Rechtfertigung für das grausame Vorgehen gegen die Indianer insgesamt. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts diente Hispaniola als Ausgangspunkt der Kolonialisierung Amerikas; von hier brachen Männer wie Hernán Cortés, Francisco Pizarro und Vasco Nunez de Balboa zu ihren Entdeckungsfahrten in der Neuen Welt auf. Jedoch rückte die Insel schon vor der Mitte des 16. Jahrhunderts aus dem Blickfeld der Kolonisatoren, die sich auf der Jagd nach Gold zuerst nach Kuba und schließlich nach Mittelamerika wandten. Die Goldvorkommen auf der ausgepowerten Insel waren bereits um das Jahr 1550 erschöpft; die weitere Zukunft Hispaniolas, wie nahezu des gesamten karibischen Raums, stand im Zeichen des Zuckerrohrs, zu dessen Anbau aber Tausende afrikanische Sklaven in die sich entvölkernden Gebiete Westindiens verschleppt wurden.
Die Vernichtung der ursprünglichen Bevölkerung Hispaniolas drückt sich in erschreckenden Zahlen aus: Nach einer Zählung im Jahr 1508 lebten auf Hispaniola nur noch 60000 Eingeborene; und wenn im Jahr 1548 Oviedo in seiner «Historia general de las Indias» anführte, dass dort nicht einmal mehr 500 Indianer am Leben seien, dann belegt diese Angabe, dass die Aruak auf Hispaniola bereits zu jener Zeit fast vollständig ausgerottet waren. Was für Folgen die Kolonialisierung des übrigen Amerika hatte, spiegelt sich ebenfalls deutlich in Zahlen wider: So wird etwa geschätzt, dass sich im Gebiet Neu-Spaniens (von Kalifornien bis Nicaragua) die indianische Bevölkerung zwischen 1519 und etwa 1610 von ca. 25 Millionen auf wenig mehr als eine Million Menschen reduzierte. (Später sollte dann die indianische Bevölkerung dieses Raumes wieder zunehmen.)
Die Ausrottung der Indianer in der Karibik stellt also im Grund einen Genozid dar, wenn er auch nicht systematisch betrieben wurde. Dabei ist besonders die Art und Weise hervorzuheben, in der die Kolonialherren mit der Bevölkerung verfuhren. Ein Beispiel für das barbarische Wüten der Spanier auf Hispaniola gibt Las Casas, der «Indianerapostel»: «Sie drangen unter das Volk, schonten weder Kind noch Greis, weder Schwangere noch Entbundene, rissen ihnen die Leiber auf, und hieben alles in Stücken, nicht anders, als überfielen sie eine Herde Schafe, die in den Hürden eingesperrt wäre. Sie wetteten mit einander, wer unter ihnen einen Menschen auf einen Schwertstreich mitten von einander hauen, ihm mit einer Pike den Kopf spalten, oder das Eingeweide aus dem Leibe reißen könne. Neugeborene Geschöpfchen rissen sie bei den Füßen von den Brüsten ihrer Mutter, und schleuderten sie mit den Köpfen wider die Felsen. Andere schleppten sie bei den Schultern durch die Straßen, lachten und scherzten dazu, warfen sie endlich ins Wasser und sagten: da zapple nun, du kleiner schurkischer Körper! Andere ließen Mutter und Kind zugleich über die Klinge springen, und stießen sie mit den Füßen vor sich hin. Sie machten auch breite Galgen, so, daß die Füße beinahe die Erde berührten, hingen zu Ehren und zur Verherrlichung des Erlösers und der zwölf Apostel je dreizehn und dreizehn Indianer an jedem derselben, legten dann Holz und Feuer darunter, und verbrannten sie alle lebendig. Anderen banden oder wickelten sie dürres Stroh um den Körper, zündeten es an, und verbrannten sie. Anderen, die sie bloß deswegen am Leben ließen, hieben sie beide Hände ab, banden sie ihnen an, jagten sie so dann fort, und sagten: gehet hin (wohl zu merken) mit diesem Sendschreiben, und bringt euren Landsleuten, die sich ins Gebirge geflüchtet haben, etwas Neues! Große und Edle brachten sie gewöhnlich folgendergestalt um: sie machten Roste von Stäben, die sie auf Gabeln legten, darauf banden sie die Unglücklichen fest, und machten ein gelindes Feuer darunter, bis sie nach und nach ein jämmerliches Geschrei erhoben, und unter unsäglichen Schmerzen den Geist aufgaben.»
Diese menschenverachtende Art und Weise, mit der die Spanier gegen die indianische Urbevölkerung vorgingen, findet ihre Erklärung zum einen in der wirtschaftlichen wie geographischen Situation des neuen Erdteils, der in seiner Ferne und Größe den Spaniern wie ein riesiges Betätigungsfeld für Plünderungen vorkam. In einem quasi gesetzlosen Raum konnten sich Glücksritter und Profiteure tummeln, die in ihrer Habgier wahrlich über Leichen gingen, wobei die ersehnten Schätze (jenes «gesegnete Gold»!) in der Hauptsache nur mit Hilfe von Sklavenarbeit gewonnen werden konnten. Zum anderen lässt sich auf die spanische Geschichte verweisen, die auf dem Weg zum Nationalstaat in die verhängnisvolle Inquisition mündete, in der alles Nicht-Christliche als feindlich galt. Der Kampf gegen die Mauren hatte kriegserprobte Hasardeure hervorgebracht, die als verarmte Hidalgos (Cortés) und besitzloses Landvolk (Pizarro) die Reconquista als «Conquista» in der Neuen Welt fortsetzten. In Amerika sollten sie dann allerdings auf einen Gegner treffen, dem sie militärisch in allen Belangen überlegen waren. Denn im Vergleich zu den Spaniern, die mit Musketen und Schwertern, auf Pferden, die den Indianern unbekannt waren, und mit den gefürchteten Bluthunden kämpften, waren die Kriege der nackten Eingeborenen «nur als Klopffechtereien und Kinderspiel zu betrachten».
Von einer eigentlichen «Kolonisation» Amerikas konnte lange Zeit überhaupt nicht die Rede sein, da die Spanier einzig und allein darauf bedacht waren, die neuentdeckte Weltgegend auszubeuten. In den von Europa weit entfernten Gebieten brauchte man sich keine Rücksichten aufzuerlegen, wenn es darum ging, innerhalb kurzer Zeit enormen Reichtum zusammenzuraffen. Für die Ausrottung der Indianer war, abgesehen von deren direkter physischer Vernichtung, vor allem das System der «encomienda» verantwortlich, das symptomatisch für das menschenverachtende Ziel der Kolonialherren stand, sich mit geringstem finanziellem Einsatz auf dem schnellstmöglichen Weg zu bereichern: Danach wurden jedem Siedler für eine bestimmte Zeit des Jahres eine Anzahl Indianer «anvertraut», der über diese seine Schutzherrschaft ausüben durfte und ihnen christliche Fürsorge angedeihen lassen sollte. Als Gegenleistung mussten sich die Indianer in den Frondienst des «encomendero» begeben. «Wenn sie von den Goldminen zur Feldarbeit zurückkehren, die sie zur entsprechenden Jahreszeit betreiben müssen, um einer Hungersnot vorzubeugen, empfangen sie ihr Entgelt: Der eine ein Hemd, der andere ein Untergewand, der dritte einen Mantel oder einen Hut. Denn an den Sachen haben sie ihre Freude, und sie gehen auch nicht mehr nackt einher.» Bei der «encomienda» handelte es sich um ein kaschiertes, mörderisches Zwangssystem, das es den Spaniern im Namen der christlichen Zivilisation erlaubte, sich der Arbeitskraft der Eingeborenen nahezu kostenlos zu bedienen. Zu Tausenden starben die Indianer in den Goldminen; sie verhungerten oder entzogen sich der Zwangsarbeit, indem sie etwa mit Hilfe ihnen bekannter Pflanzengifte den Freitod wählten. (Fatalerweise kam hinzu, dass die eingeborene Bevölkerung obendrein durch in Amerika unbekannte Viruserkrankungen wie Grippe, Pocken oder Masern dahingerafft wurden.) «Diese Sorgfalt oder Seelensorge, welche sie auf dieselben verwendeten, bestand darin, daß sie die Mannspersonen in die Bergwerke schickten, um Gold zu graben, welches eine fast unerträgliche Arbeit ist. Die Weibsleute schickten sie auf ihre sogenannten Stationen oder Meiereien, wo sie den Feldbau besorgen mußten; eine Arbeit, die nur für starke und rüstige Mannspersonen gehört. Diesen, wie jenen, gaben sie nichts anders zu essen, als Kräuter und dergleichen Sachen, die keine Kraft haben. Säugenden Müttern vertrocknete die Milch in den Brüsten, und in kurzer Zeit starben alle kleinen Kinder dahin. Die Männer mußten ganz abgesondert leben, durften nicht den mindesten Umgang mit den Weibern haben; mithin hörte die Fortpflanzung gänzlich auf. Jene kamen vor Arbeit und Hunger in den Bergwerken um; und diese starben auf die nämliche Art in den Meiereien und sogenannten Stationen.»
Besonders die Ernährung wurde von Beginn an als Mittel zur Unterdrückung der eingeborenen Bevölkerung eingesetzt. In ihrem Kampf gegen die Spanier hatten zum Beispiel die Indianer auf Hispaniola zuerst noch versucht, den Eindringlingen die Nahrungsgrundlage zu entziehen. Sie bebauten ihre eigenen Felder nicht mehr, ein Vorgehen, das Hungersnöte hervorrief und bald auf sie selbst zurückschlug. Fast von den Anfängen an gehörte es hingegen zu den Mitteln der Kolonialherren, die Indianer bewusst dem Hunger auszuliefern, indem sie nicht nur deren Vorräte verbrauchten (nach Las Casas «verzehrt und verschlingt ein Spanier oft in einem einzigen Tage, was für drei Familien, jede zu zehn Personen gerechnet, auf einen ganzen Monat genügt»), sondern auch rücksichtslos deren Pflanzungen vernichteten. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Hinweis große Bedeutung, dass die Ackerbaumethoden der Indianer auf den Inseln wenig produktiv waren; im Vergleich erwirtschaftete etwa ein spanischer Bauer selbst unter dem feudalen System seiner Zeit einen dreißigfach höheren Ertrag.
Das Los der karibischen Indianer entschied sich am Ende jedenfalls unter dem System der «encomienda», als sie, zur Sklavenarbeit gezwungen, ihre Felder nicht mehr bebauen konnten und von ihren «Schutzherren» nur völlig unzureichend ernährt wurden, wenn sie nicht gar selbst für ihre Verpflegung zu sorgen hatten. Die Kinder der verschleppten und zu Tode geschundenen Eltern blieben außerdem oft auf sich selbst angewiesen zurück, sodass Las Casas zum Beispiel von Kuba berichtete, dort seien während seines Aufenthalts binnen drei oder vier Monaten 7000 Kinder vor Hunger gestorben, weil ihre Väter und Mütter in die Bergwerke geschickt wurden.
Auf dieser «Kolonisation» ruhte im Übrigen von Beginn an der Segen einer christlichen Kirche, die in Spanien im Verlauf des 15. Jahrhunderts weit stärker als in jedem anderen Teil Europas sittlich verfiel. Auch wenn die Völker, die missioniert werden sollten, in die Sklaverei geführt wurden, so stand dies nicht im Gegensatz zum christlichen Ideal der «Nächstenliebe». Denn die von der Kirche im gesamten Mittelalter gutgeheißene Versklavung von Menschen war von Papst Nikolaus V. im Jahr 1454 in der Bulle «Romanus Pontifex» sogar sanktioniert worden. Nach der geltenden Moraltheologie war den «Heiden» ohnehin die ewige Verdammnis gewiss. Darüber hinaus war die auf Missionierung bedachte christliche Kirche in entschiedener Weise an der Unterdrückung der eingeborenen Bevölkerung beteiligt. Dabei konnte sich die Kolonisation auf die von Papst Alexander . im Jahr 1493 vollzogene Einteilung der Erde berufen, die in rechtlicher Hinsicht eine Übereignung der betreffenden Weltgebiete bedeutete.
Die Methode der Missionierung wird durch die sogenannte «Konquistadorenproklamation» («requerimiento») überaus deutlich, die den Indianern als Legitimation für ihre Bekehrung und damit einhergehende Unterwerfung vorgetragen wurde: «Gott der Herr hat dem Petrus und seinen Nachfolgern die Gewalt über alle Völker der Erde übertragen, so daß alle Menschen den Nachfolgern Petri gehorchen müssen. Nun hat einer dieser Päpste die neuentdeckten Inseln und Länder mit allem, was es darauf gibt, den spanischen Königen zum Geschenk gemacht, so daß also ihre Majestäten kraft jener Schenkung Könige und Herren dieser Inseln und des Festlandes sind. Ihr werdet nunmehr aufgefordert, die heilige Kirche als Herrin und Gebieterin der ganzen Welt anzuerkennen und dem spanischen Könige als eurem neuen Herrn zu huldigen. Andernfalls werden wir mit Gottes Hilfe gewaltsam gegen euch vorgehen und euch unter das Joch der Kirche und des Königs zwingen, wie es sich rebellischen Vasallen gegenüber gehört. Wir werden euch euer Eigentum nehmen und euch, eure Frauen und Kinder zu Sklaven machen. Zugleich erklären wir feierlich, daß nur ihr an dem Blut und an dem Unheil schuld seid, das dann über euch kommen wird.» Wenn sich also die christlichen Konquistadoren in jeder Hinsicht auf die Unterstützung der Kirche verlassen konnten, die ihnen trotz aller begangenen Untaten stets die Absolution erteilte (es sei an dieser Stelle auf das hinlänglich bekannte Phänomen der engen Verbindung zwischen gewalttätigem Verhalten und strikter Frömmigkeit verwiesen), so wirkte sich die Bekehrung selbst noch obendrein demoralisierend aus: Den Indianern wurde nämlich im Jenseits ein Paradies versprochen, auf Erden aber waren sie zu Demut und Gehorsam gegenüber ihren Herren verpflichtet.
 
Zu dieser Entwicklung, die zur Ausrottung ganzer Volksgruppen führte, trug auch Kolumbus einen erheblichen Teil bei, obwohl der Admiral auf Hispaniola wenigstens zu Beginn mit allen Mitteln versucht hatte, die Übergriffe der Spanier gegen die Indianer zu unterbinden. Auch aus diesem Grund waren ständig Rebellionen gegen ihn aufgeflammt, die er schließlich nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Das Aufbegehren der Kolonialisten gegen ihren Vizekönig entzündete sich an seinem Vorsatz, das Land in einer Weise auszubeuten, die auf planvolles Vorgehen angelegt war. Dazu hätte er eine Gefolgschaft benötigt, die seinen Anordnungen und Befehlen Folge leistete. Jedoch hatten sich nach «den Indien» immer nur Männer begeben, die das Gold mit vollen Händen schöpfen und die sich durch keine Anweisung einschränken lassen wollten. Unter allen diesen befinden sich keine sechs, die nicht vorhaben, so viel Geld als möglich zu sammeln, um sich dann bei der ersten Gelegenheit davonzumachen. Das Ziel des Kolumbus war demnach die geordnete Unterwerfung des Landes, der das individuelle Interesse der einzelnen Spanier nach möglichst rascher Bereicherung entgegenstand. Sie haßten mich auch, weil ich ihnen nicht erlauben wollte, nur zu zweien oder zu dreien oder gar allein das Land zu durchstreifen, wie sie bereits begonnen hatten; da in ähnlichen Fällen die Indianer schon viele von ihnen getötet hatten und noch weitere töten würden, wenn sie nicht durch mich davor behütet worden wären. Unter solchen Umständen wäre die Kühnheit der Eingeborenen derart groß geworden, daß sie mich schließlich von der Küste vertrieben hätten, ohne daß es zu einer Schlacht gekommen wäre, wenn mir nicht Gott geholfen hätte. Wenn der Admiral anfänglich gewisse Rechte der Indianer anerkannte, so geschah dies einzig aus der Absicht heraus, sie in organisierter Form zu dienenden Untertanen zu machen, denn nur auf diese Weise ließ sich ihnen ein möglichst großer Ertrag abpressen. Das von Kolumbus auf Hispaniola eingeführte Tributsystem, das jeden einzelnen Indianer zu allerhärtester Fron zwang und das nur aufgrund der anarchischen Zustände unter den Spaniern nicht wirklich geordnet durchgeführt werden konnte, stempelt ihn exemplarisch zu einem jener bedenkenlosen Geschäftsmänner seiner Zeit. So stellte er beispielsweise auch eine genaue Berechnung darüber an, wie pro Jahr 4000 Sklaven und 4000 Zentner Holz nach Spanien verschifft und dort gewinnbringend verkauft werden könnten.
Nur in der Qualität unterschied sich Kolumbus also von all jenen berüchtigten Konquistadoren, die auf der Suche nach Gold die indianischen Kulturen rücksichtslos überrannten. Seine Unterdrückung der Bevölkerung war schon auf Systematik angelegt, wie sie sich in dem späteren System der «encomienda» manifestierte; und da der Vizekönig der Indien stets danach trachtete, seine Machtposition durch wirtschaftlichen Erfolg zu untermauern, finden sich bei ihm auch all jene Maßnahmen ausgeführt oder vorgedacht, welche die Politik der Kolonialherren bestimmen sollten. Diese Vorgehensweisen reichten von der Versklavung der einheimischen Bevölkerung bis zu deren physischer Vernichtung; und zur Unterwerfung des Landes wurde selbst auf Methoden wie den bewussten Einsatz des Alkohols zurückgegriffen oder auf das Schüren von Intrigen unter den verschiedenen Indianergruppen: «In seinem Entschluß wurde der Admiral auch noch durch die Erwägung bestärkt, die Zwietracht unter den Häuptlingen erleichtere ihm die Unterjochung des Landes.» Zum Bild des Kolumbus als Kolonisator gehört schließlich auch seine fanatische Religiosität, die für sein Leben in einem solchen Maß bestimmend war, dass ihn selbst die Berechnung, wie viel Gold er den Indianern abpressen könnte, um damit das heilige Grab zu befreien, in keinen Widerspruch verwickelte. Ganz im Sinne seiner Zeit sprach er auch später aufrichtig von dem Dienst, den wir Unserem Herrgott durch die Rettung so vieler Seelen leisteten.

© Andreas Venzke

Aus: Andreas Venzke: Christoph Kolumbus. Rowohlt. E-Book 2019