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Zwei Fluchten

Oetinger-Verlag, Hamburg 1997

Samstag 15. Februar 2014, von Andreas Venzke

Mein zweites Jugendbuch, mit einem altbekannten Thema: Zwei völlig unterschiedliche Jugendliche, der eine wohlbehütet, der andere überhaupt nicht, hauen zusammen ab ...
Es war noch nicht die Zeit für so ein Thema.

Besprechungen

"Subtil, zwischen den Zeilen, ist die Veränderung in Veit spürbar. Fast kafkaesk erleben wir seine Verwandlung zur eigenen Selbstfindung. Ein Mutmacherbuch mit sprachlichen Leckerbissen."
Bücherbär – Berner Jugendschriften–Kommission

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Leseprobe

Anfang

Um halb drei wollten wir uns treffen, um halb drei in der Nacht. Normalerweise müßte man eine Batterie Kanonen abfeuern, um mich zu der Uhrzeit wachzukriegen.
Aber ich war so fickerig, daß mir auch Schlaftabletten nichts ausgemacht hätten. Nein, daß ich einschlafen würde, war nicht das Problem. Aus dem Haus kommen mußte ich, das war das Problem, aus dem Haus kommen, ohne daß meine Eltern das mitkriegen würden.
Die Vorbereitung war das wichtigste. Ich weiß ja, um zwölf, spätestens, gehen meine Eltern ins Bett. Ich saß vorher noch mit ihnen im Wohnzimmer, und an diesem Abend war es wie verhext.
Eigentlich komme ich gut zurecht mit meinen Eltern. Wenn sie nur nicht so wären, so ... Ich weiß gar nicht genau, wie. Jedenfalls steht bei ihnen immer schon alles fest, also auch, daß sie bis spätestens zwölf ins Bett gehen. Na ja, was weiß ich, wie es ist, wenn man immer zur Arbeit muß, jeden Tag früh aufstehen. Da muß man vielleicht sogar Respekt haben, daß sie nur wenig Schlaf brauchen. Sie legen sich ja nachmittags nicht noch mal hin wie ich. Wenn meine Mutter in der Früh aufsteht, hat sie höchstens sieben Stunden geschlafen. Das würde ich auf Dauer nie packen. Der Vater kann manchmal noch ein Stündchen länger liegenbleiben, je nachdem wann er zur Schule muß. Sie aber mit ihrem Versicherungsbüro muß immer zur gleichen Zeit auf der Matte stehen. Furchtbar! Da muß man doch irgendwann durchknallen! Nur finden die Eltern das in Ordnung. Sie sind so richtig ausgeglichen in ihrem Leben.
Jedenfalls weiß ich natürlich, wie sie ins Bett gehen. Einer von beiden sagt, "Jetzt ist es aber Zeit!", oder, "Es ist schon wieder viel zu spät!". Dann werde ich gefragt: "Und du, Arian, willst du nicht auch ins Bett?" Ich sage dann meistens, "Ja, ich komme gleich!", und bleibe immer noch zehn Minuten oder so im Wohnzimmer hocken. Manchmal komme ich aber noch später.
Ich nehme mir nämlich immer die Fernbedienung und zappe mich durch die Kanäle. Manchmal werden in der Nacht ja die schärfsten Filme gezeigt. Wenn ich mal so ’nen Film gefunden habe, bleibe ich länger hocken. Und ich fasse mich dann fast immer an in der Hose. Aber das ist so eine blöde Situation. Mit der einen Hand muß ich ja die Fernbedienung halten. Ich kann dann sofort umschalten, wenn noch mal einer von den beiden runterkommt. Und länger als eins darf es sowieso nicht dauern. Spätestens dann kommt meine Mutter und macht Stunk. Na ja, Stunk macht sie nicht gerade. Sie sagt nur, daß ich doch jetzt mal ins Bett soll.
Meine Eltern machen nie Stunk. Vielleicht bin ich ihnen zu viel wert, als einziges Kind. Aber meine Mutter sagt das in einer Art, daß ich merke, wie sie echt sauer ist.
An diesem Abend wollten die beiden einfach nicht schlafen gehen. Und ich brauchte noch Zeit, um alles vorzubereiten. Dazu durfte es nicht zu spät werden. Wenn ich spät ins Bett gehe, ist eine solche Ruhe im Haus, daß jeder feuchte Furz zu hören ist.
[...]

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