Arena-Verlag, Würzburg 2011
Der "Wettlauf" zwischen Scott und Amundsen zum Südpol - längst eines der großen Epen in der Menschheitsgeschichte. Hier erzählt von Thomas Crean, einem der um Haaresbreite überlebt hat und der die Geschichte einmal nicht heroisch erzählt.
Besprechungen
"Spannend und mitreißend erzählt [..."]
Gerlinde Römer
Jugendschriftenausschuss des BLLV- München
"Das Buch ist aufgrund des jeweiligen Perspektivenwechsels (beide Expeditionstrupps kommen zu Wort) und der Dichte an Recherchefakten sehr anspruchsvoll, aber ein Spitzentipp für Jungen jeden Alters."
Jugendliteratur aktuell, Thurgau
"[...] hat der Autor on diesem Fall mit Crean eine reale Figur als Sprachrohr gewählt, was die Authentizität der Geschichtserzählung steigert und dem Leser einen ganz unmittelbaren Zugriff auf die spannenden Ereignisse rund um die Eroberung des Südpols gewährt. Ergänzt werden die Schilderungen Creans von den Erzählungen seiner Frau, die das Vorgehen und die Erlebnisse des mit Scott rivalisierenden Teams um Amundsen beschreibt. Der wiederholte Perspektivenwechsel steigert dabei die Spannung. [...] wobei jedoch stets eine kritische Distanz z. B. gegenüber der nachträglichen Heroisierung Scotts gewahrt bleibt. [...] Insgesamt kann damit auch dieser Band der Reihe [...] wärmstens empfohlen werden.“
Heidrun Scharrer
Jugendschriftenausschuss des BLLV- Mittelfranken
"Fazit: Das Buch orientiert sich an einer wahren Begebenheit, ist aber als fiktive Erzählung eines Expeditionsteilnehmers verfasst, was die Geschichte sehr anschaulich macht. Auch die enthaltenden Darstellungstexte mit Informationen über beteiligte Personen und historischen Fotos tragen dazu bei, dass Geschichte hier erfolgreich zum Leben erweckt wird.“
luk
Main Post
"Das bewirkt, dass man das Buch nicht weglegen kann und oft hofft, dass die Geschichte vielleicht doch anders ausgeht. [...] Alles in allem ein spannendes Buch, das seinen Lesern noch lange im Gedächtnis bleiben wird und das eines wirklich kann: Geschichte lebendig machen."
Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW, Sachsen-Anhalt
Die spannend erzählte Geschichte wird dadurch um wissenswerte Details bereichert, die dem angesprochenen jungen LeserInnenkreis [!] ein realistisches und authentisches Leseerlebnis ermöglichen. Empfohlen für abenteuerhungrige LeserInnen [!] zwischen 11 und 18.
Bibliotheksnachrichten
"Hier steht die Spannung im Vordergrund. Der Autor Andreas Venzke hat eine Rahmenhandlung um die Entdeckergeschichte gestrickt und lässt ein Mitglied von Scotts Mannschaft erzählen. Diese Mischung aus Fiktion und Dokumentation gibt der Handlung nicht nur große Nähe, sondern lässt auch Raum für Spekulationen. So bezweifelt Venzke [...]
bild der wissenschaft
"Durch die Erzählform kann sich der Leser sofort die Begebenheiten und Unannehmlichkeiten vorstellen und es kommt nie die Idee auf, Geschichtsunterricht erteilt zu bekommen. Schon zu Beginn ist man gefesselt vom Inhalt und brennt darauf weiterzulesen. [...] Ein Buch ohne den pädagogischen Zeigefinger, sondern in ungewöhnlicher Form geschrieben, der sich kein Leser entziehen kann."
Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW
"[...] Andreas Venzke präsentiert die Ereignisse um die Eroberung des Südpols spannend und detailreich. Über eine Rahmenhandlung [...] wird nicht nur der jugendliche Leser in die Geschichte gezogen. [...] fesselnde Erzählung [...] Die Lebendigkeit der Erzählung entsteht auch durch die Einbeziehung von Quellen, etwa wenn aus den Tagebüchern Scotts zitiert wird. Glücklicherweise vergisst Venzke dabei nicht, diese bewusst öffentlichkeitswirksame Inszenierung ihres Autors quellenkritisch einzuordnen. [...] Der Verlag empfiehlt die Lektüre ab 11 Jahren, das Buch ist aber durchaus auch für Erwachsene ein fundierter Einstieg [...]
Maximilian Schreiber
Borromäusverein Bonn
"Andreas Venzke gelingt es im erzählenden Teil sehr gut, die persönliche Seite aus der Sicht eines Teilnehmers der Expedition zu schildern. [...] hebt er sich wohltuend von anderen glorifizierenden Schilderungen (z. B. der bekannten Stephan Zweigs) ab. Auf der Folie des Gelesenen können junge Menschen lernen, selbst eine kritische Haltung gegenüber heutigen ’Helden’ einzunehmen.
Daneben ist der erzählende Teil ungemein lebendig und spannend geschrieben. Man wird geradezu in die Person Thomas Creans hineingezogen, erlebt die Spannungen unter den Männern und die Strapazen mit. Dazu trägt bei, dass der Autor dem Erzähler ein ruhiges, zurückhaltendes Wesen gegeben hat, das nüchtern berichtet."
Elmar Broecker
Alliteratus.com
"Die Geschichte ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend [...]"
Bärbel McWilliams
Der Evangelische Buchberater
Leseprobe
1) Im "South Pole Inn"
"Schaut euch das mal an!", ruft der glatzköpfige Howard, als er in mein Gasthaus stürmt und sich Jacke und Hose abklopft. "Ich glaub es nicht! Das hatten wir noch nie."
"Natürlich hatten wir das schon", ruft gleich der alte Bill zurück. "Nur vielleicht nicht ganz so viel."
Ich selbst schaue zur Wand und lächele gequält. Auf meine Augen ist kein Verlass mehr. Doch entstehen in mir seltsame Bilder, erst verschwommen, dann immer klarer. Damals hätte es keiner gewagt, sich den Schnee erst nach dem Eintreten abzuklopfen. Das musste vor dem Zelt geschehen.
Howard lässt sich von Ellen, meiner Frau, ein Guinness zapfen und stellt sich zu den anderen in den Raum, die wie Kinder in die Hände klatschen und aufstampfen. Ellen hat eigentlich auch noch nie Schnee gesehen, richtigen Schnee, nichts anderes als Schnee. Auch sie geht immer wieder zur Tür und macht ein paar Schritte hinaus. Vielleicht kann sie nun ein wenig von dem begreifen, was ich ihr erzählt habe: Wie man durch ein Loch in der Zeltwand starrt und draußen peitscht der Wind den Schnee keuchend vor sich her, stundenlang, und wenn man Pech hat, tagelang. Und dann geht das Petroleum für den Brenner zur Neige und die Nahrungsvorräte auch.
"Na, Bill", prostet ihm Howard zu, der für seine 40 Jahre viel zu alt aussieht. "Du musst das ja wissen! Aber hast du in deinem Leben schon mal so viel Schnee gesehen? Warst du denn jemals runter von unserer Insel? Na egal! Nicht dass wir hier noch einschneien! Obwohl, das wäre auch nicht schlimm. Dann müsste ich mir von meiner Frau nichts anhören, wenn ich später nach Hause komme. Schließlich ist Samstagabend."
"Einer hier im Raum hat bestimmt viel mehr Schnee gesehen als wir alle zusammen", antwortet Bill und sucht mit dem Blick nach mir. Ich drehe mich nicht um und spüle ein Bierglas aus. Ob es richtig sauber ist, kann ich nicht mehr sehen. Es durchfährt mich heiß. Die Erinnerung an damals werde ich immer in mir tragen.
In welchen verschiedenen Welten man leben kann, denke ich. Es gibt Situationen, da kann man wirklich selbst entscheiden, ob man seine bekannte Welt tauschen möchte gegen eine völlig fremde – in meinem Fall: Eine kleine überschaubare Welt gegen eine unüberschaubar große. Und dann gibt es Situationen, da wird einem die Welt gewechselt, auch wenn man bleibt, wo man ist, und seine Welt gerne behalten hätte. Aber was erzähle ich? Das ist alles schwer zu verstehen für einen, der damit nichts zu tun hat. Ich mache sonst keine großen Worte. Ich versuche eigentlich, still meinen Lebensabend zu genießen, im irischen Annascaul, wo ich in der Nähe auf dem Hof meiner Eltern aufgewachsen bin.
In dem kleinen Ort wohne ich mit meiner geliebten Frau Ellen, und zwar in dem Wirtshaus „South Pole Inn", in dem sich gerade so viele Bewohner des Dorfes versammelt haben. Thomas Crean* heiße ich, doch nenne mich alle nur Tom. Bei mir werden die Geschichten ausgetauscht, von all den kleinen Dingen, die in Annascaul geschehen. So wie man am Sonntagmorgen ins Gotteshaus geht, kommt man am Samstagabend zu mir ins Wirtshaus. Manchmal, wenn ich dazu aufgelegt bin, erkläre ich, was hinter dem Namen "South Pole Inn" steckt. Aber die ganze Geschichte, die hat außer Ellen noch keiner gehört.
"Tom!", höre ich Howard nun rufen. "Hattet ihr auch so viel Schnee am Südpol? Hier ist jetzt ja auch alles weiß."
Ich wische an der Zapfanlage herum und versuche wieder zu lächeln. Ellen schaut zu mir hin und ich erkenne, wie sie mir zunickt. Das soll wohl heißen, dass ich ruhig mal erzählen soll.
"Der Schnee kann locker sein wie Puder oder hart wie Stein, pappig oder griffig, scharf wie ein Messer oder weich wie eine Daunenfeder", sage ich. "Wir konnten das alles unterscheiden."
An einem Tag wie diesem, wo es in unserer Gegend wirklich mal schneit, und der Schnee sogar liegenbleibt, da könnten meine Landsleute ein wenig verstehen, was ich erlebt habe. Wir haben sonst immer nur Grün um uns, auch im Winter. Am Südpol war alles weiß, die Farbe Grün gab es nicht mehr.
"Mal sehen, wie unser Schnee jetzt ist", ruft Howard und geht wieder hinaus. Andere gehen mit ihm.
"Noch ein Bier, Ellen!", ruft er und andere wollen auch noch eins.
Ich nehme ihre leeren Gläser und spüle sie ab. Ich spüre, wie mich Ellen immer wieder von der Seite ansieht. Sie weiß, wie gern ich meinem Herzen Luft machen würde.
So, für die Briten hast du das getan, habe ich einige Gäste schon sagen hören, mit einem bestimmten Unterton, vorwurfsvoll. Deswegen bin ich vorsichtig. Ich kann die Briten nicht unbedingt verachten, so wie es viele meiner Landsleute tun. Haben sie mir nicht ermöglicht, die Welt zu sehen, wirklich die ganze Welt, weil es nun mal ihr Anspruch war, sie zu regieren? Es traf sich jedenfalls alles bestens, als ich zum Mann wurde und mir meine väterliche Welt zu eng wurde, ja, die väterliche Welt ... Auf unserem Hof herrschte mein Vater nach alter Sitte und getreu der Bibel: Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn. Ich hatte mit meinen neun Geschwistern unter seiner Rute einen Platz zu finden. Nur, wo gab es den auf unserem Hof, bei Annascaul, am Ende der Welt, im westlichsten Zipfel Irlands? Wenn es da Streit gibt, geht man los und steht bald an den Meeresklippen. Welche Sehnsucht drückt das Meer aus, wenn es laut anbrandet oder sich leise in der Sonne wiegt! Letzten Endes bietet das Meer zwei Möglichkeiten: Sich von den Klippen hineinzustürzen, wie das für mich nie ein Weg gewesen wäre, oder seine riesige Weite als Straße in ein neues Leben zu nutzen.
Warum musste mein Vater auch gleich wieder zuschlagen, nur weil ich angefangen hatte, die verfluchten Saatkartoffeln zu eng nebeneinander zu pflanzen? Was hat es mir abverlangt, nicht zurückzuschlagen! Hatte damit alles angefangen? Ja doch! Und dann war es natürlich auch die Schuld der Briten, wenn man so will, dass es damals für einen Grünschnabel wie mich die Möglichkeit zur Flucht gab. Die Briten suchten Personal für ihre Schiffe und die jungen Leute in Irland suchten Platz für ihre Träume. So fing es an. Im Rückblick ging alles so schnell: Mit 15 laufe ich von zuhause fort, spät am Abend, als alle schlafen. Ich kenne den Weg zum nächsten Hafen wie meine Westentasche und bin ihn in meiner Vorstellung schon Dutzende Male gelaufen. Nur der Mond, mein einziger Verbündeter, begleitet mich und schon am nächsten Tag stehe ich einem Bewerbungsoffizier gegenüber. Die schicke Uniform, die er trägt – darin möchte ich auch einmal stecken! Was mein Alter angeht, sage ich nicht ganz die Wahrheit, aber die will der Offizier eigentlich auch gar nicht hören.
Als Boy werde ich in der britischen Navy aufgenommen. 1893 ist das Jahr, als ich anheuere. Wieder haben die Briten einen jungen Burschen, den sie in ihrem Sinn formen können. Aber das sehe ich nicht, ich sehe meine Chance: Ich habe Erfolg, wechsele die Schiffe, die Meere, die Erdteile, Freunde, Mädchen, Ansichten. Im Jahr 1900 diene ich auf einem Schiff, das gerade in Neuseeland vor Anker liegt, als dort auf einem anderen Schiff namens Discovery ein Matrose gegen einen Offizier vorgeht und flieht. Seinen Platz nehme ich ein, und zwar unter dem Befehl eines gewissen Robert Falcon Scott. Mit der Discovery führt er eine Expedition in die Antarktis an – der Beginn meines Lebens als "Polarforscher".
"Mann, wir schneien hier wirklich ein!", brüllt Howard, als er mit den anderen wieder in das Lokal stampft. "Flockig, würde ich sagen, der Schnee ist eindeutig flockig!"
Er klopft sich ab, als müsste er vorführen, wie gefährlich es draußen ist.
"Howard, so machst du doch alles nass hier", sagt der alte Bill und ich nicke ihm unbewusst zu.
"Hab dich nicht so!", ruft Howard und nimmt sein frisch gezapftes Guinness. Ich denke, mit einem wie ihm wäre es schwer in einer Gruppe gewesen, die in der Antarktis überleben will. Einer, der Kritik überspielt oder nicht annehmen kann, bedroht den Zusammenhalt aller. War nicht sogar Scott so einer?
"Tom, erzähl doch mal, wie das da unten im Süden war! Wie ist denn der Unterschied zu hier?", sagt plötzlich ein anderer am Tresen.
Und Howard ruft: "Du hast doch an diesem Wettlauf teilgenommen. Wie war das denn genau? Hast du diesen Scott eigentlich auch noch tot gesehen?"
Ich spüre, wie es still wird. Sogar der alte Bill, der die Geschichten doch bestimmt kennt, hat die Augen aufgerissen. Ellen lächelt und nickt mir entschieden zu.
Europa vor dem Krieg
Am Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in Europa seit langer Zeit Frieden. Bei allen Gegensätzen zwischen den Klassen wuchs der Wohlstand aller. Trotzdem gab es das Gefühl einer Krise. Die großen Länder rüsteten immer stärker auf und bedrohten sich untereinander. Es war die Zeit des Imperialismus.
In den Industriestaaten hatte sich der Kapitalismus voll entwickelt: Mit dem unerbittlichen Kampf im Streben nach Gewinn stieg die wirtschaftliche Leistung enorm, aber auch die Konkurrenz auf den Handelsmärkten. Ein Staat wollte den anderen beherrschen, wobei sich die Industrie vor allem einen leichten Zugang zu den wichtigsten Rohstoffen sichern wollte. Großbritannien hatte dabei den größten Einfluss, weil es mit seinem Empire die halbe Welt regierte. Doch waren seine Kolonien immer schwerer zu beherrschen. Die Völker wehrten sich gegen die weiße Herrschaftsklasse und begannen für ihre Unabhängigkeit zu streiten. Das betraf nicht nur den riesigen Halbkontinent Indien, sondern auch ein kleines Land wie Irland als Teil der "Britischen Inseln". Für das Empire ging es dabei um seine Zukunft. Aber auch ein Land wie Norwegen wollte sich selbst regieren und sagte sich von Schweden los.
Das 19. Jahrhundert war davon bestimmt, dass die Europäer noch jeden Flecken Erde "entdeckten", in Besitz nahmen und damit die Welt unter sich aufteilten. Forscher, Abenteurer und Missionare drangen in die entlegensten Gebiete vor, besonders in das Innere der riesigen Kontinente Afrika und Asien, solange es sie noch zu beherrschen galt. Im 20. Jahrhundert war dieser Vorgang abgeschlossen und eigentlich alle Gebiete der Welt erkundet und in Beschlag genommen. Was blieb, waren nur noch die Gegenden, die keinem gehörten, weil sie noch nie ein Mensch betreten hatte: Abgesehen von den höchsten Bergen waren das die Polargebiete, an erster Stelle die Arktis, der Nordpol. Der lag sozusagen vor der Haustür. Die Antarktis dagegen war noch einmal eine andere Welt: unglaublich weit entfernt, menschenleer und völlig unbekannt.