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Der „Entdecker Amerikas“

Aufstieg und Fall des Christoph Kolumbus

Samstag 1. Februar 2014, von Andreas Venzke

Das Buch erschien 1991 im Züricher Benziger-Verlag.

Kolumbus hat mich sozusagen zum Autor gemacht. Weil ich, als junger Mann pendelnd zwischen universitärer und nokturner Arbeit, das Bordbuch des Kolumbus in einer neuen Fassung ins Deutsche übersetzte, begann ich mich für den "Entdecker Amerikas" zu interessieren. Denn das von ihm überlieferte Bild, Genie, Wagemutiger, Verkannter, gewesen zu sein, kam mir von Anfang an verlogen vor. So wollte ich ein wenig zur Aufklärung beitragen. So wurde ich etwas wie ein "Kolumbus-Experte".
Das Buch kam später noch als Taschenbuch im Piper-Verlag heraus. Aber wirklich interessiert hat das Thema in Deutschland eigentlich nie.

Besprechungen

"Endlich ist Kolumbus einmal ein Mensch ’mit Unterleib’, d. h.: er taucht nicht plötzlich aus dem Nirgendwo auf. Venzke rekonstruiert die Vorgeschichte, die Herkunft sehr überzeugend. Und mit den vier Atlantik-Überquerungen und dem Klagelied über die Undankbarkeit der Welt ist das Porträt auch nicht zu Ende. Auch die Schattenseiten des skrupellosen Eroberers und Unterdrückers werden gezeigt."
Nordelbische Kirchenzeitung

"... stramm antikolonialistische Besserwisserei ..."
"... wohlfeile Ideologiekritik a posteriori ..."
Badische Zeitung

"Keine Frage: Venzke ist ein kritischer Bewunderer, der uns in flüssiger Sprache zeigt, wie aus einem Wollweber ein Admiral und Vizekönig geworden ist."
Salzburger Nachrichten

"Der Freiburger Journalist und Schriftsteller kratzt in seiner Biographie am glänzenden Lack des Amerika-Entdeckers."
"Venzke zeigt Mut zu unkonventionellen Sichtweisen, er versteckt sich selten hinter ’Wenn’ und ’Aber’, hinter ’Einerseits’ und ’Andererseits’."
Westfalen-Blatt

"Andreas Venzke sucht den ’Entdecker Amerikas’ aus seiner Zeit heraus zu verstehen. Der Autor weist nach, dass Kolumbus bei seiner Atlantiküberquerung von längst überholten Vorstellungen über die Grösse und Ausdehnung der Erde ausging und bis zuletzt überzeugt war, Asien erreicht zu haben. Die ’Westfahrt’ entsprang nicht einem kühnen Geniestreich, sondern dem Handfesten Kalkül des einstigen Wollwebers aus Genua, auf einen Schlag Herrscher über die vermeintlich reichsten Gebiete der Erde zu werden. Dieser Herrschaftsanspruch war es denn auch, woran Kolumbus scheitern mußte. Auf der verzweifelten Suche nach Gold verfing er sich in der Rolle eines skrupellosen Conquistadors und Sklavenhändlers."
Rheintalische Volkszeitung

"... gut fundierte Veröffentlichung ..."
Die Zeit

"Facettenreich präsentiert sich das Porträt des ’Entdeckers Amerikas’ durch Andreas Venzke. In einem 300-Seiten-Buch entwirft er eine Skizze, die auch dem komplizierten Innenbild des wagemutigen Seefahrers gerecht zu werden versucht."
Die Welt

"Kritisch und befreit von Legenden und Anekdoten beschäftigt sich der in Freiburg lebende Schriftsteller Andreas Venzke in seinem Buch Der ’Entdecker Amerikas’ mit der widerspruchsvollen Gestalt von Kolumbus."
Braunschweiger Zeitung

"Venzke geht den Weg der kritischen Kolumbus-Betrachtung und macht den Leser auf bisher vernachlässigte Seiten der Amerika-Entdeckung aufmerksam. Andererseits vermeidet er auch die totale Verdammung des Entdeckers, er erspart damit sich und uns lästiges Moralisieren. Venzke hat damit eine interessante und auch originelle Kolumbus-Biographie vorgelegt, die sich angenehm vom Einheitsbrei vieler derzeit auf den Markt geworfenen Fast-Food-Biographien abhebt."
Radio Freiburg

"Herausgekommen ist dabei eine abwechlungsreiche und vielseitige Biographie, die vor allem versucht, dem Menschen Columbus und seiner eigenen Lebenstragödie gerecht zu werden."
Norddeutscher Rundfunk

"... kritisch und befreit von Legenden und Anekdoten ..."
Braunschweiger Zeitung

"Ein aktuelles Buch zum Jubiläumsjahr 1992, in dem man sich der ’Entdeckung Amerikas’ vor 500 Jahren erinnern wird. Jahrhundertelang hat man dieses Ereignis, die daraus resultierenden Folgen und Entwicklungen und damit auch die Zentralfigur Kolumbus nur glorifizierend einseitig aus dem Blickwinkel der Eroberer gesehen. Diese einseitige Betrachtungsweise wurde nun von einer kritischeren Sicht der Ereignisse abgelöst. Auf dieser Linie liegt die vorliegende Biographie, die ein vielfach noch unbekanntes Bild des Kolumbus zeichnet, unter Weglassung aller legendenhaften Vernebelungen und Klischees."
Kirche bunt

"... nimmt Legenden und Anekdoten in den Wahrheitstest ..."
Das Magazin (Die Lust zu lesen)

"Unter den zahlreichen Büchern, die aus Anlaß des 500. Geburtstages der Entdeckung Amerikas erschienen sind, ragt diese Biographie des Christoph Kolumbus und seines Aufstiegs vom Wollweber zum Admiral und Vizekönig heraus."
Würzburger Katholisches Sonntagsblatt

"Andreas Venzke gibt einen guten, knappen Überblick; sein Blick ist distanziert und sprachlich schlägt er keine Räder. Zudem versucht er, Ordnung in das Wirrwarr vieler widersprüchlicher Thesen in Sachen Kolumbus zu bringen."
Neue Westfälische

"Die Fülle von Details über das Leben des Kolumbus, von denen viele als neue Erkenntnisse anzusehen sind, machen das Buch zu einer spannenden Lektüre, die mitunter Romancharakter annimmt."
Deutsch-Brasilianische Hefte (Bonn)

"Interessantes Karten- und Bildmaterial vervollständigen das bemerkenswerte Buch, das im ausgehenden Jubiläumsjahr zur Pflichtlektüre gehören sollte."
Klagenfurter Zeitung

"Es ist das unbestreitbare Verdienst der vorliegenden Biographie, bis uns Detail exakt und dennoch spannend geschrieben, das Leben und Schaffen des Entdeckers auszubreiten."
"... nicht nur lesenswert, sonder höchst aktuell ..."
Sendbote

"... muß das Buch für einschlägig interessierte jüngere und ältere Leser gleicherweise empfohlen werden."
Bücherschau (Wien)

"... sehr lebendig geschriebene Studie."
Lehren und Lernen

"Das Buch ist fesselnd geschrieben. Es werden verschiedene Sichtweisen aufgezeigt, so daß eine möglichst objektive und vielseitige Vorstellung gelingt."
"Für alle interessierten Leser geeignet und in allen Büchereien, auch als Standardtitel, einzusetzen."
das neue buch/buchprofile für die katholische Büchereiarbeit

"Auf den Prolog folgen 27 übersichtliche, treffend beschriebene Kapitel, die Kolumbus’ Aufstieg und Scheitern, seine Intensionen und Intrigen, seinen Charakter und seine Persönlichkeit dem Leser nicht zuletzt mit Hilfe spannungsfördernder Formulierungen und Stilmittel offenlegen."
"Damit abstrahiert Venzke Kolumbus zum Exempel, holt ihn in unsere Zeit hinüber - und bringt ihn heutigen menschlichen Mechanismen und Methoden ganz nahe."
Lebendiges Zeugnis

"... überaus spannend geschriebene Biographie ..."
Main-Echo

"... hochinteressante Darstellung ..."
Westfälische Nachrichten

"Ein wertvolles Buch, das zum Jubiläum viele geschichtliche Zusammenhänge zeigt, aber den Leser auch zum Nachdenken über diese Zeitepoche und deren Folgen anregt."
Kantonale Kommission für Schul- und Gemeindebibliotheken, Luzern

"... sorgfältig recherchiert ..."
Deutsche Tagespost

"... qualitativ hochwertig ..."
Main-Post

"... räumt Venzke unter Anekdoten, Urteilen, Attributen auf ..."
Darmstädter Echo

"... dieser sehr lebendig geschriebenen Studie."
Lehren und Lernen, Stuttgart

"... lesenswert scharfe Kritik ..."
DAAD-Letter, Hochschule und Ausland

"Diesem verklärten Bild rückt Andreas Venzke in seiner biographischen Darstellung mit Skepsis zu Leibe."
Stuttgarter Nachrichten

"Andreas Venzke hat eine aufklärende entmystifizierende Biographie im besten Sinne vorgelegt."
Dritte-Welt Materialien 92

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Leseprobe

Prolog

"12. Oktober 1492" - dieses Datum sollte die Geschichte eines ganzen Kontinents auf den Kopf stellen. Mit geblähten Segeln näherten sich drei spanische Schiffe den Bahamas, einer Inselgruppe im Nordosten der Karibik. Die gespannte Erwartung der Besatzungen, endlich Land zu sichten, ließ alle Sicherheitsmaßnahmen hintanstehen, und so hatte man sich selbst in der Nacht auf ein Wettrennen eingelassen. Christoph Kolumbus hatte als Führer der kleinen Flotte die Mannschaften angespornt, Tag und Nacht Ausschau zu halten. Zehntausend Maravedis sollte derjenige als Leibrente erhalten, der als erster Land sichtete. Das Abfeuern einer Kanone galt als das vereinbarte Zeichen.
Die Karavelle "Pinta" segelte von allen drei Schiffen am schnellsten, und sie war schon in den Tagen zuvor stets vorausgeeilt. Am 12. Oktober 1492, um zwei Uhr nachts, war es soweit. In der Ferne konnte Rodrigo de Triana, ein einfacher Seemann, im fahlen Mondschein Land ausmachen, und von der "Pinta" wurde der vereinbarte Kanonenschuß abgegeben. Bald hatten auch die beiden anderen Schiffe, die "Santa Maria" und die "Niña", aufgeschlossen, und an Bord herrschte unglaublicher Jubel. Der "Admiral des Ozeanischen Meeres", wie er sich mit der Entdeckung der Indischen Lande nennen durfte, gab Befehl, die Segel zu streichen und bis zum Morgen beizudrehen. Erschöpft ließen sich die Männer auf den Planken der Schiffe nieder. Sie versuchten, ein wenig zu schlafen, jedoch war jeder einzelne innerlich fieberhaft erregt. Über dreißig Tage lang hatten sie nichts als die unendliche Weite des offenen Meeres erblickt, und jeden Tag hatten sie darum gefleht, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Unruhig wälzten sich die Männer hin und her, den Kopf voller Gedanken an jene fabelhaften Goldländer, über die ihnen so viel erzählt worden war.
"Im Morgengrauen sahen wir nackte Leute, und ich begab mich bewaffnet in einem Boot des Schiffes an Land", schrieb Kolumbus in sein Bordbuch. Noch ehe die Spanier die fremde Welt wirklich betraten, war sie von ihnen in Besitz genommen worden. Diese bemerkenswerte Tatsache sagt bereits viel aus über den Charakter jener Zeit, die inzwischen fünf Jahrhunderte zurückliegt. In einer Szene, die dem heutigen Menschen wahrhaft grotesk anmuten müßte, wurden offizielle Banner und Flaggen entfaltet. Anschließend erklärte der in vollem Ornat gekleidete Admiral unter dem Eid des Schrift- und des Rechnungsführer der Flotte sowie der versammelten Mannschaft, daß das entdeckte Land offiziell als spanischer Grund und Boden zu gelten habe. Mit größter Sorgfalt wurde die Zeremonie durchgeführt, unter den Augen der wie vom Schlag gerührten Indianer, die von all dem nichts begriffen. Zur Inbesitznahme eines fremden Gebietes gehört, daß man ihm das eigene gesellschaftliche und kulturelle System überstülpt. Daher kam bis heute der Namensgebung stets entscheidende Bedeutung zu, durch die man ein Land seiner gewachsenen Identität zu berauben sucht. Kolumbus nannte das entdeckte Land "San Salvador", in der Sprache der angestammten Indianer hieß es "Guanahaní".
Staunend musterten sich an jenem 12. Oktober 1492 die Angehörigen zweier völlig unterschiedlicher Kulturen. Den Spaniern traten Menschen im Naturzustand entgegen, "die alle so nackt waren, wie ihre Mütter sie geboren hatten"; den Indianern wiederum standen plötzlich weiße Männer gegenüber, die auf riesigen schwimmenden Häusern zu ihnen gekommen waren. "Ich denke, sie bedeuteten uns durch ihre Zeichen, als ob wir vom Himmel kämen", vermerkte Kolumbus in seinem Bordbuch. Als genauer Beobachter hinterließ er eine Beschreibung der Eingeborenen als sehr anmutige Menschen, von schöner Gestalt und mit sehr feinen Gesichtszügen; ferner seien sie große Menschen, ohne Ausnahme hätten sie gerade Beine und niemand habe einen Wanst. Weiter hob Kolumbus hervor, daß sie freundliche und wohlgesinnte Menschen seien.
Auf Guanahaní alias San Salvador fand demnach am 12. Oktober 1492 auf vorbildliche Weise das friedvolle und harmonische Aufeinandertreffen zweier Zivilisationen statt, die sich auf einer gänzlich verschiedenen Entwicklungsstufe befanden. Die erste Amerikafahrt des Kolumbus gestaltete sich im weiteren Verlauf zu der friedlichen Fahrt dreier spanischer Schiffe durch ein Paradiesland. So zumindest möchte jeder oberflächliche Betrachter meinen. Doch an jenem Tag tönte am Horizont für die bis dahin nahezu unbehelligt lebenden Indianer das Grummeln eines fernes Donners. Denn Kolumbus betrachtete schon die Bewohner jener kleinen Bahamasinsel aus einem bestimmten Kalkül heraus, wie er dies in den Sätzen formulierte: "Ich möchte, daß die Eingeborenen ein freundliches Verhältnis zu uns bekommen, da es sich um einen Stamm handelt, der eher durch Liebe als durch Gewalt zu unserem heiligen Glauben errettet und bekehrt werden kann." Doch damit nicht genug, denn weiter heißt es: "Sie dürften wohl gute und geschickte Diener sein, da sie alles, was wir ihnen vorsprechen, sehr schnell wiederholen." Symptomatische Sätze, die am ersten Tag der "Entdeckung Amerikas" niedergeschrieben wurden.

Zwei Jahre später regierte Kolumbus als Vizekönig "die Indien", "las Indias", wie die Spanier noch bis ins 19. Jahrhundert hinein den amerikanischen Kontinent bezeichneten. Zudem herrschte er als Statthalter auf Hispaniola, der nach Kuba zweitgrößten Karibikinsel, die von den Spaniern zuerst "kolonisiert" werden sollte.
Nur zwei Jahre nach der zufälligen Entdeckung Amerikas führte Kolumbus auch bereits Krieg gegen die Indianer, wobei es ihm nicht etwa darum ging, Siedlungsland der Spanier gegen wütende Angriffe der eingeborenen Bevölkerung zu schützen, sondern als Statthalter war ihm darum zu tun, die Indianer seinem Willen zu unterwerfen und sie zu Untertanen des spanischen Königshauses zu machen. Gold mußte gefunden werden, und im Gegensatz zu den Berichten Marco Polos fand sich dies nur spärlich in den bis dahin entdeckten Gebieten. Die Indianer auf Hispaniola wurden daher mit dem Ziel unterworfen, ihre Arbeitskraft zur Goldgewinnung zu gebrauchen, und dabei kam es Kolumbus zu, ein perfides System zu deren Knechtung einzuführen.
Die gesamte angestammte Bevölkerung sollte in nahezu perfekter Weise versklavt werden. Das dazu gewählte Verfahren beschrieb später lakonisch der Sohn des Kolumbus, Fernando: "Der Admiral unterwarf sie zu solchem Gehorsam, daß alle versprachen, den Katholischen Königen alle drei Monate Tribut zu entrichten. Von den Einwohnern Cibaos, wo sich die Goldminen befanden, sollte jede Person über vierzehn Jahre ein großes Gefäß voll Goldstaub entrichten, und alle anderen Leute je fünfundzwanzig Pfund Baumwolle. Um zu wissen, wer diesen Tribut zu zahlen hatte, wurde angeordnet, eine Münze aus Kupfer oder Messing herzustellen, die überallhin gesandt wurde und die jeder um den Hals tragen mußte, so daß man sah, daß einer, der diese Münze nicht trug, seinen Tribut nicht entrichtet hatte und man ihn bestrafen konnte."
In der Praxis bedeutete diese Anordnung, daß sich jeder Indianer härtester Arbeitsfron zu unterziehen hatte. "Ein großes Gefäß voll Goldstaub" konnte nur erarbeiten, wer in mühsamer Plackerei das Gold aus dem Sand der Flüsse wusch oder in Bergschächten aus dem Fels schlug. Gaben sich die Indianer auch nur dem Versuch hin, das Quantum zu erfüllen, lösten sie sich damit aus allen bewährten gesellschaftlichen und sozialen Strukturen. Stammes- und Familienbanden wurden gesprengt, Ansiedlungen verfielen, und der Ackerbau lag brach.
Wer sich auf den Sklavendienst einließ, konnte auf lange Sicht die geforderten Abgabemengen auch beim besten Willen nicht erfüllen. Also waren die Indianer vor die Entscheidung gestellt, sich innerhalb kürzester Zeit zu Tode zu schinden, sich in abgelegene und unfruchtbare Gebiete zurückzuziehen oder gar gegen die einstmals verehrten weißen Götter mit Waffengewalt vorzugehen; die "Gewalt" der indianischen Waffen ging allerdings bestenfalls von Pfeil und Bogen aus und kam gegenüber den gerüsteten Spaniern nahezu einer Rauferei von Kindern gleich. Sicher verfügten auch die Indianer in Form von vergifteten Pfeilen über effiziente Mittel, um einen Widersacher auszuschalten. Sie waren jedoch mit einem Gegner konfrontiert, der in einer weit überlegenen "Kriegsführung" geschult war und der sie nie anders als zu unterwerfende Wilde betrachtete.
Wie hatte es so weit kommen können, daß der glorreiche "Entdecker Amerikas" zu solch drakonischen Mitteln griff, nur drei Jahre nach seiner Landung auf Guanahaní? Hatte Kolumbus zu jener Zeit in seinem Bordbuch nicht noch Sätze verzeichnet wie, "Die Indianer sind sanftmütig und wissen nicht um das Böse. Sie töten niemanden und nehmen niemanden als Gefangenen"? Es läßt sich auf viele solcher Feststellungen verweisen, die auf eine gutmütige und aufrichtige Wesensart des Admirals schließen lassen. Hatte er nicht auch schon in den ersten Tagen die Aussage getroffen, daß "sie derart ängstlich sind, daß sie zu Hunderten vor einem von uns Reißaus nehmen, auch wenn wir uns nur einen Spaß erlauben"? Weiterlesend stößt man allerdings stets von neuem auf Sätze wie: "Sehr schnell lernen sie jedes ihnen vorgesprochene Gebet, und sie machen das Kreuz. Daher müssen sich Eure Hoheiten entschließen, sie zu Christen zu machen." Und gleich anschließend an diesen Hinweis an das in Spanien herrschende Königspaar lautet dann etwa der nächste Satz: "Zweifellos gibt es immense Mengen Goldes in diesem Land." Insbesondere das Wort "Gold" zieht sich wie ein roter Faden durch die Aufzeichnungen des Kolumbus.
Damit sind bereits zwei der entscheidenden Charakteristika benannt, die untrennbar zur Person des Christoph Kolumbus und seiner Zeit gehören. Ganz allgemein lassen sie sich den Begriffen "Gott" und "Gold" unterordnen. Deutlicher wird nun schon erkennbar, welch für die Indianer vernichtender Sturm sich von Anfang an am Horizont abzeichnete.
Kolumbus war nicht nur der "Entdecker Amerikas", sondern er war auch derjenige, der als erster Europäer die Herrschaft über die Neue Welt antrat, und dabei war er nicht zuletzt derjenige, der den Weg vorgab, den Amerika in seiner weiteren Geschichte beschreiten sollte. Daß er in seinem Leben schließlich scheitern mußte, hängt in höchstem Maße mit der Zeit zusammen, die einen Menschen wie Kolumbus hervorbrachte; und wiederum drückte sich in seiner widerspruchsvollen Persönlichkeit exemplarisch das Wesen eben seines Zeitalters aus.

Noch immer fällt es nicht leicht, die Person des Kolumbus in unvoreingenommener Weise zu betrachten. Nachdem er lange Zeit geschmäht worden war und sein Name nahezu in Vergessenheit geriet, holte ihn das 19. Jahrhundert aus dem Dunkel der Geschichte hervor und projizierte auf ihn das Bild, das die Kolonialmächte von sich selbst entwarfen. Als Identifikationsfigur für die europäische Inbesitznahme Amerikas wurde der Genuese als Genie und Heros herausgestellt, versehen mit den entsprechenden Attributen. Daß er schließlich sogar vom Papst selig gesprochen werden sollte, besagt nicht nur etwas über seine Vereinnahmung durch die christliche Kirche, es zeugt vielmehr von der Leuchtkraft des Ruhms, welcher zeitweise von seiner Person ausging.
In späterer Zeit wurde seine Persönlichkeit kritischer betrachtet, und das Licht um seine Heldengestalt verdunkelte, als auch in verstärktem Maße auf die Schattenseiten im Leben des Admirals verwiesen wurde. Das "Zeitalter der Entdeckungen" wurde nicht mehr nur unter dem Aspekt betrachtet, daß wilden Eingeborenenstämmen die Gnade der Zivilisation zuteil wurde. Vor dem Hintergrund der Ausplünderung Amerikas und der gnadenlosen Unterwerfung seiner ursprünglichen Bevölkerung schien Kolumbus die charakterliche Skrupellosigkeit jener Zeit stellvertretend widerzuspiegeln, und am Ende wurde er vereinzelt gar als goldgieriger Scharlatan dargestellt, dem alle Mittel recht gewesen seien, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Andere wiederum sahen ihn in der verhängnisvollen Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt, als Don Quichotte des Meeres.
Im allgemeinen besteht die Neigung, stets alles auf das Wesentliche zu reduzieren, so daß das Leben berühmter Persönlichkeiten meist auf einige Erzählungen, Anekdoten oder bestenfalls Attribute beschränkt bleibt. Wird Hannibal mit dem "Zug über die Alpen", Gandhi mit dem "Passiven Widerstand", Dante mit der "Göttlichen Komödie" gleichgesetzt, so Kolumbus mit der "Entdeckung Amerikas". Meist fällt es nicht leicht, Vorstellungen zu erweitern oder gar zu korrigieren, die durch solche Reduktionen bestimmt sind. Dies trifft etwa in typischer Weise auf das "Ei des Kolumbus" zu. Diese sprichwörtlich gewordene Anekdote ist ein treffendes Beispiel dafür, wie sich bestimmte Überlieferungen zäh behaupten, zeichnet sie doch durch ihren knappen und treffenden Witz ein überaus einprägsames Bild des "Amerika-Entdeckers". Trotzdem ist sie in keiner Weise für Kolumbus verbürgt; sie stellt nur das bekannteste Überbleibsel um die einst glorreiche Verehrung seiner Person dar.
Nach seiner erfolgreichen "Westindien"-Fahrt wurde er in einer adeligen Tischgesellschaft darauf angesprochen, daß die Überquerung des Atlantiks auf jeden Fall von einer anderen Persönlichkeit in Angriff genommen worden wäre, wenn er selbst sein Unternehmen nicht ausgeführt hätte. Kolumbus nahm daraufhin ein Ei, ohne auf den Einwand einzugehen, und forderte die Granden der Reihe nach auf, es ohne irgendwelche Hilfsmittel auf die Spitze zu stellen. Als dies niemandem gelingen wollte, nahm er das Ei selbst wieder in die Hand und schlug es mit der Spitze leicht auf den Tisch auf, so daß es stand. Sogleich begriff die Tischgesellschaft, was gemeint war, daß jeder nämlich immer erst im nachhinein weiß, wie eine Tat zu vollbringen ist.
Tatsächlich zeugt, nach den Worten des amerikanischen Schriftstellers Washington Irving, die weltweite Verbreitung dieser Anekdote für ihre Treffsicherheit. Sie scheint insbesondere für die Charakterisierung des "Amerika-Entdeckers" so passend zu sein, daß sie unauslöschbar mit seinem Namen verbunden blieb. Ursprünglich jedoch war sie von dem italienischen Künstler Vasari, der auch mit Worten geschickt umzugehen wußte, auf seinen Landsmann Brunelleschi gemünzt worden. Dieser hervorragende Baumeister soll durch die Lösung des "Ei-Problems" den Auftrag zu seinem kühnen Bau der Kuppel des Doms "Santa Maria" del Fiore erhalten haben, was die Anekdote überaus stimmig machte, da ja die Domkuppel in Florenz augenscheinlich an die Form eines Eies erinnert, das an der Spitze aufgestoßen ist. In einem Werk des Historikers Benzoni findet sich dann das Geschichtlein auf Kolumbus übertragen, wobei der Autor immerhin zugibt, nur vom Hörensagen über den Vorfall erfahren zu haben.
Da das "Ei des Kolumbus" später sprichwörtlich geworden ist, dient die berühmte Anekdote an dieser Stelle dazu, zurechtzurücken und zu relativieren; zumal durch sie unterschwellig auch Entscheidendes zum Wesen des Kolumbus ausdrückt wird, was mit Eigenschaften wie "schlagfertig", "witzig", "verschmitzt" zu beschreiben wäre, Attribute, die sich allerdings erst in zweiter Linie auf seinen Charakter beziehen ließen, wenn überhaupt.

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