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Fliegen wie nackt

Aus: DHV-info 127

Samstag 22. Februar 2014, von Andreas Venzke

Nackt

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Andreas Venzke: Fliegen, wie nackt

Neulich vormittag, als für den Tag gute Thermik zu erwarten war, als dann tatsächlich Ablösungen am Startplatz durchgingen und ich mich nur noch einhängen musste, fuhr mir der Schreck in die Glieder: Plötzlich spürte ich eine wie lähmende Stille! Ich sah mich um, sah auf andere Flieger, die sich startbereit machten, hörte hier und dort immer wieder neu ein Piepen – ehe ich endlich begriff: Mein Vario funktionierte nicht. Oh nein, sollten ausgerechnet jetzt die Batterien den Geist aufgegeben haben! Lag es an der Kälte, daran, dass mein Vario den Winter über lange Zeit unbenutzt geblieben war, dass ich Batterien aus dem Kaufhaus genommen hatte? Mit gebremstem Atem begann ich, an dem Gerät herumzuhantieren. Und um mich her starteten schon Flieger mit kräftigen Ablösungen in einen Himmel, der sich mit Quellwolken füllte.
Was sollte ich machen? Andere fragen, ob sie zufälligerweise Batterien dabeihätten, ob jemand doch nicht fliegen wollte und der mir sein Vario ..., das ich dann zurück ...? Dann hatte ich plötzlich eine Idee, so gewagt, dass sie lange brauchte um bei mir anzukommen: Ich würde ohne Vario fliegen! Ich kam mir dann vor wie ein Vater, der auf die Autobahn muss und sein Kind nicht anschnallt. Immer wieder kontrollierte ich, ob ich in meiner Vorbereitung nichts ausgelassen hatte, Beingurte fest, Helm auf, Schuhe an? Ich fühlte mich wie nackt. Und als ich gestartet war, war mir erst recht seltsam zumute: Es war alles so still, so als ob etwas nicht stimmte. Immer wieder sah ich hoch zum Schirm, dass der richtig über mir stand. Dann lupfte es an einer Seite und ich drehte wie automatisch ein. Und ich stieg. Ich drehte weiter und stieg weiter. Ehe ich mich versah, hatte ich Startplatzüberhöhung. Ich sah dies tatsächlich. Ich musste dazu nicht aufs Vario schauen, das mir die Höhe angezeigt hätte. Ich war dann bald an der Basis und zu meiner Überraschung erkannte ich auch das ohne Vario. Ich sah, wie der Horizont auf und abstieg, und das ohne jedes Piepen, wobei ich mit dem Kopf bald auch nicht mehr nach vorn nickte um zu versuchen, auf meinem nicht-existenten Vario Zahlen abzulesen. Unglaublich: Ich konnte das Steigen und Fallen der Landschaft ohne Piepen und ohne Kopfnicken genießen.
Am Ende war es ein herrlicher Flug, der mir fürwahr neue Perspektiven eröffnete: Man kann, wenn man will, ganz ruhig fliegen! Wer würde das beim Gleitschirmfliegen für möglich halten! Und es soll sogar Flieger geben, die sich noch immer kein GPS-Gerät angeschafft haben – aber das ist natürlich eine ganz andere Geschichte.

Copyright: Andreas Venzke