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Johannes Gutenberg

Andreas Venzke: Eine Richtigstellung

Samstag 15. Februar 2014, von Andreas Venzke

Johannes Gutenberg? Den Namen kennt man - irgendwie. Das ist doch ein berühmter Deutscher, der Erfinder des Buchdrucks?! Aber sonst?
Sonst hat man vielleicht einmal jenes Porträt gesehen, das meist mit dem Namen "Johannes Gutenberg" verbunden wird.

Thevet

Doch ist auch dieses sogenannte "Thevet-Porträt", wie alle Darstellungen des Buchdruck-Erfinders, nicht authentisch. Überhaupt ist aus dem Leben des Johannes Gutenberg wenig überliefert.
Sonst vor allem gibt es eine ganze Wissenschaft, die sich mit den Anfängen des Buchdrucks beschäftigt, auch und besonders mit Johannes Gutenberg.
Nun hat sich in Freiburg ein Autor herausgenommen, eine Biographie über Johannes Gutenberg zu veröffentlichen, die ein wenig Unruhe hervorgerufen hat. "Johannes Gutenberg - Der Erfinder des Buchdrucks" nennt sich diese Biographie, die 1993 von Andreas Venzke im Benziger-Verlag veröffentlicht wurde.
Venzkes (nicht eben revolutionäre) Thesen messen sich am bestehenden Bild über den Buchdruck-Erfinder und lauten im wesentlichen: Gutenberg war kein betrogenes Genie, sondern ein ausgebuffter Geschäftsmann und auch zu seiner Zeit kein Vorbild an tugendhaftem Lebenswandel. Gutenberg war kein "Künstler", sondern selbst nur ein "Imitator" (nämlich der Handschriftenvorlagen). Gutenberg konnte die Folgen seiner Erfindung nicht vorausgesehen, geschweige intendiert haben.
Im Nachwort seiner Gutenberg-Biographie liest sich das so:
"Gutenberg ein vorwärtsgewandter, moderner Mensch, jemand, der dem Geist der Aufklärung ein Lichtlein entzünden wollte, der nur das Große, Schöne zu schaffen beabsichtigte? Mitnichten. Was immer man als Antriebe gelten läßt, idealistische, nationalistische: Das Bild des hehren Geistesmenschen Gutenberg ist erst Jahrhunderte nach seinem Tod geschaffen worden; und es ist - mehr oder weniger intakt - bis heute bewahrt geblieben.
Daß die Persönlichkeit des Buchdruck-Erfinders als so makellos, rein und tugendhaft porträtiert werden konnte, liegt sicher an der unbefriedigenden Quellenlage zu seinem Leben. Derart lückenhaft ist seine Biographie überliefert, daß manchmal aus einem einzigen dokumentierten Beleg (wie "yezunt nit inlendig" zu sein) auf ganze Lebensabschnitte geschlossen werden muß. Dies erklärt jedoch nicht, warum noch heute dieses bestimmte Bild von Gutenberg besteht, das des Geniemenschen, der - nur dem Ideellen zugewandt und den schnöden Mammon verachtend - alles für seine Erfindung gegeben habe, um doch am Ende so schnöde betrogen zu sein. Dieses Bild entstand erst in den Köpfen all jener, die das "Segensreiche" des Buchdrucks notwendig auf dessen Erfinder übertragen sehen wollten. Wahre "Kombinationskünstler" haben dabei das Kunststück fertiggebracht, die Biographie des verehrten Meisters nicht nur zu entstellen, sondern in ihr Gegenteil zu verkehren.
Denn das Gegenteil eines Idealisten war Gutenberg. Der Mainzer hat als verschlagener Geschäftsmann zu gelten, der sich stets, wenn nötig rücksichtslos, seinen materiellen Vorteil zu verschaffen suchte. Geschäftliches in großem Maßstab bestimmte sein Leben. In diesem Sinne gab er sich zwar Neuem hin, blieb jedoch gesellschaftlich dem Alten verhaftet. Als adeliges Kind der Zeit zählte er zu den Streitsüchtigsten seiner Klasse, so unversöhnlich, daß er sich in der Auseinandersetzung zwischen Patriziern und Zünftlern möglicherweise mit seinem eigenen Bruder überwarf - und er durch diesen Streit schließlich die Freiheit seiner Heimatstadt hinzugeben half. Selbst im (modernen) Hinblick auf seinen Charakter ist Gutenberg in keiner Weise geeignet, positiv herausgestellt zu werden. Immerhin verhaftete er eigenmächtig und eigenhändig den Mainzer Stadtschreiber Nicolaus von Werstad und gab ihn erst nach gerichtlicher Aufforderung wieder frei, überzog er den ehrsamen Schottenlawel öffentlich mit schlimmsten Schmähworten, brach er der Adeligen Ennel von der Iserin Türe das Eheversprechen. Hitzköpfig, lärmend und rabiat muß er aufgetreten sein. Vorbild einer tugendhafter Persönlichkeit war Gutenberg gewiß nicht.
Was schließlich die mit seinem Namen verbundenen Druckwerke angeht, insbesondere die "Gutenberg-Bibel", so können auch diese in der Einschätzung nicht absolut gesetzt werden: Aus der Schönheit der ersten Mainzer Wiegendrucke hat man ja wieder auf Gutenbergs Schönheitssinn geschlossen, und umgekehrt. Dabei hat man sich in seinem Urteil derart verstiegen, daß in der Forschung wegen etlicher "minderwertiger" Drucke gar ein "unbekannter Drucker" erfunden wurde und man als Resultat dieser Betrachtungsweise im übrigen ein verheerendes Bild von seinen Partnern Fust und Schöffer entworfen hat. Trotz (oder wegen) seiner umwälzenden Erfindung blieb Gutenberg in "künstlerischen" Dingen ein Nachahmer, wie er ja auch in allen übrigen Dingen dem Überkommenen verhaftet war.
So bleibt als Fazit der Verweis auf den Beginn dieser Darstellung, auf das Vorwort und den dort erwähnten Vergleich zwischen Gutenberg und Kolumbus, diesen beiden historisch so heroisch herausgehobenen Persönlichkeiten. Wenn ebenfalls auf Kolumbus stets jener sinngemäße Ausspruch übertragen wurde, wie ihn Ruppel auf Gutenberg bezogen hat, er habe die Welt aus ihren verrosteten Angeln heben wollen, so lassen sich die beiden Heroen in dieser Hinsicht tatsächlich miteinander vergleichen, daß nämlich, ins Gegenteil gewendet, beide nichts dergleichen im Sinn hatten. Wie Kolumbus wollte auch Gutenberg nicht ein modernes Zeitalter einleiten, sondern ein altes, sein eigenes Zeitalter auf seine Art vorantreiben. Beiden Entdeckern fehlte eben die Eigenschaft, die ihnen später immer wieder angehängt wurde, das geniale Vorausschauen in Zeiten, die sie angeblich einzuleiten beitragen wollten. Gutenberg hatte weder bedacht, wie die Konsequenzen seiner Erfindung aussähen, noch suchte er seine Erfindung in einem modernen Sinne umzusetzen. Er blieb den überkommenen Anschauungen seines Zeitalters verhaftet - nicht nur, weil er etwa als Patrizier für überholte gesellschaftliche Rechte kämpfte, sondern auch, weil er trotz seiner revolutionären Erfindung deren Potenz nicht zu erkennen vermochte, er lediglich überkommene Inhalte massenhaft verbreitete und dem Vorbild der überlieferten Handschriftentechnik verhaftet blieb. Auch der Erfinder des Mobilletterndrucks half eher, ein Zeitalter abzuschließen als ein neues zu eröffnen." (Aus: Andreas Venzke: Johannes Gutenberg - Der Erfinder des Buchdrucks. Benziger-Verlag. Zürich 1993. ISBN 3-545-34099-6. Preis: 29,80 DM)


Gegen diese Art von Darstellung hat man sich in Mainz, dem geistigen Mittelpunkt aller Gutenberg-Verehrung, zu wehren versucht. Dazu hat man sogar das alterwürdige Gutenberg-Jahrbuch hergegeben. Hans-Joachim Koppitz, der Herausgeber des Gutenberg-Jahrbuchs, veröffentlichte dort folgende Besprechung der Venzkeschen Biographie:

Hans-Joachim Koppitz

Andreas Venzke: Johannes Gutenberg. Der Erfinder des Buchdrucks. Zürich: Benziger Verlag 1993. 370 S.

Nachdem Albert Kapr 1986 sein Buch über Gutenberg im Urania-Verlag in Leipzig, Jena und Berlin zusammen mit dem Verlag für populärwissenschaftliche Literatur in Leipzig veröffentlicht hat, brachte der Benziger Verlag in Zürich 1993 ein weiteres Gutenberg-Buch von einem Journalisten, Andreas Venzke, heraus. (Der Verlag ist inzwischen aufgelöst, das Buch vom Patmos-Verlag in Düsseldorf übernommen worden.)
Venzke schreibt für das Geschichtsmagazin "Damals", Tageszeitungen und Rundfunkanstalten. 1991 trat er mit einem Kolumbus-Buch hervor: Der "Entdecker Amerikas"; Aufstieg und Fall des Christoph Kolumbus. Es reizte ihn offenbar, über einen anderen bedeutenden Mann des ausgehenden Mittelalters eine weitere Biographie zu schreiben. Aloys Ruppel, der bedeutende Gutenberg-Forscher, hat ihn anscheinend dazu angeregt durch seine Schrift: Die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Entdeckung Amerikas (Mainz 1948). Venzke fühlt sich berufen, die Frühdruck-Forschung kritisch zu sichten, das "bisherige Gutenberg-Bild zurechtzurücken" (so im Klappentext) und zu zeigen, wie sehr und wie oft die neuere Forschung, wie er glaubt, überholte Positionen vertritt. Der junge Journalist möchte frischen Wind in den verstaubten Forschungsbetrieb bringen.
Seinen Hauptangriff richtet er gegen die Heroisierung Gutenbergs, gegen die Autoren, die sich in "Spekulationen und Lobeshymnen" ergehen. Dabei übergeht er alle Äußerungen von Wissenschaftlern, die Gutenberg nüchtern und abwägend beurteilen. Sie würden nicht in sein Bild von den Forschern, die sich nicht auf der Höhe der Zeit befinden, passen.
Für Venzke ist Gutenberg alles andere als ein Idealist. "Denn das Gegenteil eines Idealisten war Gutenberg. Der Mainzer hat als verschlagener Geschäftsmann zu gelten." Unter solchen Aspekten hat Venzke die wenigen Quellen gelesen, um sein Urteil über den Erfinder des "Mobilletterndrucks" - so lautet sein von ihm bevorzugter Ausdruck, um Gutenbergs Erfindung zu charakterisieren - auf einen Nenner zu bringen. Daß Gutenberg mit dem Massenartikel Buch Geld verdienen wollte, das ist nicht neu, daß er ein verschlagener Geschäftsmann war, läßt sich aus den Quellen nicht so leicht herauslesen, wie dies Venzke vorführen möchte. Dazu ist die Zahl der aussagekräftigen Archivalien und zeitgenössischen Zeugnisse viel zu klein und verbietet solche Pauschalurteile. Zu diesem Bild von Gutenberg paßt es, daß Venzke immer wieder in ihm einen rücksichtslosen Junker, "ein adliges Kind der Zeit" sah, der eher der mittelalterlichen Welt als der Neuzeit zugehört. Die Beweise für solche Urteile bleibt Venzke weitgehend schuldig.
Denn daß Gutenberg nicht vorbehaltlos als Patrizier galt, ist schon daraus zu schließen, daß er nicht in die Münzer-Hausgenossenschaft, zu der nicht wenige Mitglieder seiner Vorfahren gehörten, aufgenommen wurde, eben weil er nicht rein patrizischer Abstammung war, denn seine Mutter war die Tochter eines Krämers, der zwar eine Patriziertochter geheiratet hatte, aber einem bürgerlichen Geschäft nachging. Ob Gutenberg sich daher als Adeligen und Junker fühlte, ist fraglich. Wir wissen auch nicht, ob Gutenberg ein Handwerk erlernt hat. Nach Venzke ist das jedoch ausgeschlossen; denn ein Adeliger nahm nicht die Mühen einer "arebeit" auf sich; vielmehr ließ er andere für sich schaffen, eine Feststellung, die Venzke mehrfach wiederholt. Nachweise kann er freilich nicht dazu anführen.
"Als Patrizier stolz und kämpferisch" - so die Kapitelüberschrift (S. 33) - verließ nach seiner Darstellung 1430 der wohl nicht mehr ganz junge Henne Gensfleisch mit anderen Patriziern nach den bekannten Stadtquerelen Mainz, ohne daß wir wissen, was für eine Ausbildung er aufzuweisen und ob er etwa in Erfurt studiert hatte (was Venzke mit Recht offen läßt und wobei er vor allem H. Rosenfelds Argumentation folgt). Im Kapitel über die "Ausfahrt in die freie Reichsstadt Straßburg" erfahren wir zu unserem Erstaunen, daß Johannes Gutenberg wegen der Rentenübertragung, die urkundlich bezeugt ist, sich mit seinem Bruder Friele überworfen hätte, ein weiteres Zeichen für die "Unerbittlichkeit" seines Charakters (S. 54), auch dies nichts anderes als eine unbelegbare Vermutung. Im "Eigenmächtigkeit und Adelsstolz" überschriebenen Kapitel werden entsprechend dem Leitmotiv des rücksichtslosen Junkers in den Akten zu findende Ereignisse in diesem Sinne ausgelegt: Die Gefangennahme des Nikolaus von Wörrstadt auf Ersuchen Gutenbergs in Straßburg in der Absicht, auf diese Weise die ausgebliebene Auszahlung der Rente der Stadt Mainz zu erzwingen, beruhte nicht auf veraltetem Recht, wie V. es darlegt, sondern wurde auch sonst damals praktiziert. Besonders überrascht, wie Venzke Gutenbergs Bruch des Verlöbnisses mit Ennelin von der Iserin Tür darstellt. Demnach hätte er mit diesem Mädchen eine heimliche Ehe geführt und wäre deshalb von ihr wegen des gebrochenen Eheversprechens verklagt worden! Auch dabei wird Gutenberg möglichst herabgesetzt; Venzke nimmt an, daß es ihm dabei ums Geld ging, er aber den übereilten Schritt dann rückgängig machen wollte (warum?).
Über Gutenbergs drei Unternehmungen in Straßburg wird - fast möchte man sagen - nichts Neues berichtet, wenn auch hier und da manches unklar bleibt. Daß er wieder einmal in "Rücksichtsloser Geschäftsmanier" (S. 95) gegen seine Partner in Straßburg nach Venzkes Überzeugung vorging, überrascht freilich nicht mehr. Ohne Ungenauigkeiten geht es auch hier nicht ab, so etwa, wenn die Rede von Halbedelsteinen (S. 81) ist, wie dies auch sonst nicht selten in der Literatur zu lesen ist; denn der Ausdruck Halbedelsteine ist seit längerer Zeit von der Fachwelt als unzulässig erklärt worden.
In den folgenden Kapiteln über die "geheime Gemeinschaft" S. 99 ff.) und die "brisante Vier-Jahres-Lücke" (S. 129 ff.) (brisant muß sie sein!) berichtet das Buch, was in der Literatur zu finden ist, natürlich immer so, daß es in das allenthalben gezeigte Gutenberg-Bild paßt. Und wenn die Quellen nichts aussagen, dann werden Erörterungen und Darlegungen allgemeinerer Art eingefügt, so etwa über Typenkunde, die Armagnaken, die Donate und ähnliches, wobei anzumerken ist, daß (Aemilius) Donatus, Lehrer des heiligen Hieronymus, fälschlich als "altrömischer Sprachlehrer" (S. 121) bezeichnet wird. Die Legenden wiederzugeben, die in die Welt gesetzt wurden, um Gutenberg den Ruhm des Erfinders der Typographie streitig zu machen, mag in einem populärwissenschaftlichen Buch wie dem vorliegenden angehen, in einem wissenschaftlichen Werk wären und sind sie überflüssig, so die Berichte über Johannes Brito, L. J. Coster und Prokop Waldfogel, über die genügend geschrieben worden ist, ebenso über die Konkurrenten Gutenbergs, die Venzke nicht erwähnt.
Die folgenden Kapitel, die sich mit Gutenbergs Leben und Schaffen in Mainz beschäftigen, sind so verfaßt, wie der Leser es erwartet: ein Resümee der Forschung unter den bekannten Gesichtspunkten. Der Unterschied zwischen den ostasiatischen Drucktechniken vor Gutenberg und denen des Mainzers oder der Mainzer wird aufgezeigt, und wir werden über den Buchmarkt des 15. Jahrhunderts unterrichtet, so über Diebold Laubers Programm, das allerdings weniger durch religiöse Erbauungsliteratur, wie dies Venzke ausführt, als durch weltliche Epik auffällt. Daß Gutenberg gegenüber Fust als rücksichtslos dargestellt wird, erwartet man, ebenso, daß wieder Ungenauigkeiten vorkommen, so etwa wenn von einem Paulinus beim Druck von Ablaßbriefen die Rede ist (S. 193), während es sich vielmehr um Paulinus Chappe, den zypriotischen Gesandten, handelt, oder wenn gesagt wird (S. 205), daß es zwei Leipziger Exemplare der B 42 gegeben hätte, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Moskau befänden und nun zurückgegeben werden sollen (in Wirklichkeit gab es in Leipzig drei Exemplare, wovon das eine sich nach wie vor im Besitz der Universitätsbibliothek befindet; über die B 42 des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Bücherei berichtet ausführlich L. Reuschel im Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 2. 1992).
Immer wieder mokiert sich Venzke über angebliche Fehlurteile von Forschern, die entweder längst widerlegt oder belanglos sind. Es genügt oft, solche Stellen zu zitieren, so etwa: "Dieser ’Türkenkalender’, der symbolisch für einen weiteren fatalen Irrweg (!) einer voreingenommenen Forschung um Gutenberg steht, läßt sich als weiteres treffenden Beispiel herausstellen, wie durch eine analytisch wissenschaftliche Methode neue Erkenntnisse zu Gutenbergs Leben erlangt werden können" (S. 247). Daß diese "analytical bibliography" nichts anderes ist als die Fortführung deutscher Methoden (Johannes Luther, Gustav Milchsack, Paul Schwenke usw. seinen stellvertretend genannt), scheint Venzke unbekannt zu sein.
Während er sich oft genug über die unbelegbaren Thesen der Gutenberg-Forscher mokiert, stellt er weitere auf: So nimmt er "guten Gewissens" an, daß "Gutenberg spätestens im Jahr 1459 nach Bamberg übersiedelte", weil keine "gegenteiligen Beweise" existierten (S. 257). In einem weiteren Kapitel referiert er über die Catholicon-Debatte, ohne Neues dazu beizutragen, was ihm nicht vorgeworfen werden soll. Fragliche Bemerkungen kommen aber auch hier wieder vor, wenn er darauf hinweist, daß es damals so "etwas Obskures wie das ’geistige Eigentum’" als Begriff nicht gab (S. 278), als ob dieser wichtige Begriff, dessen Genese sich über Jahrhunderte hinzog und der von größter Wichtigkeit für die Entwicklung des Urheberrechts war und ist, etwas Obskures sei. Wenn es im gleichen Kapitel ("Weitere neue Wege") heißt, daß Peter Schöffer "bald auch profane und erste deutschsprachige Werke wie ein ’Kräuterbuch’, ’Gart der Gesundheit’, oder ein Geschichtswerk der Niedersachsen, die ’Cronecken der Sassen’ des Konrad Bote" druckte, dann kann man nur sagen: "Hier irrt Venzke"; denn vor 1485 beziehungsweise 1492, den Erscheinungsjahren dieser Titel, gab es bereits eine große Zahl deutschsprachiger profaner Bücher: Ausgaben von Boners "Edelstein" bei Pfister 1461, des Alexanderromans (acht Ausgaben von 1473 bis 1489), des Trojaromans (sechs Ausgaben von 1474 bis 1489), des "Parzival" und des "Jüngeren Titurel", beide 1477 von Mentelin gedruckt, usw. usw. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, daß Venzke kaum mit Einzelheiten der Buchproduktion des 15. Jahrhunderts vertraut ist. So findet sich auch kein Hinweis auf Inkunabelverzeichnisse wie den Gesamtkatalog der Wiegendrucke und seine Vorgänger (Hain, Copinger usw.).
Im Kapitel "Das Ende" werden wir über die letzten Jahre seines Lebens unterrichtet und können wie gewohnt Urteile und Aussagen Venzkescher Art lesen: daß Gutenberg sich bei der Stiftsfehde "als klassenbewußter Patrizier ... wohl nicht abseits gehalten hätte" (S. 285). Zudem weiß er zu berichten: "In jedem Fall rächte sich am Ende seines Lebens in fataler Weise sein stolzes Eintreten für die Patrizier, ein Verhalten, das seinen Teil dazu beigetragen hatte, daß sich die gesellschaftlichen Gruppen in Mainz bis zur Selbstaufgabe aufgerieben hatten" (S. 289).
Das letzte Kapitel "Und die Folgen" macht uns in der Hauptsache mit Venzkes "Philosophie" über die folgenden Jahrhunderte der Schriftentwicklung bekannt, worauf einzugehen nicht nötig ist. - Im "Nachwort" wiederholt er sein Urteil über Gutenberg, der "als verschlagener Geschäftsmann zu gelten (hat), der sich stets, wenn nötig rücksichtslos, seinen materiellen Vorteil zu verschaffen suchte. Geschäftliches in großem Maßstab bestimmte sein Leben. In diesem Sinne gab er sich zwar Neuem hin, blieb jedoch gesellschaftlich dem Alten verhaftet.
Als adeliges Kind seiner Zeit zählte er zu den Streitsüchtigsten seiner Klasse, so unversöhnlich, daß er sich in der Auseinandersetzung zwischen Patriziern und Zünftlern möglicherweise mit seinem eigenen Bruder überwarf - und er durch diesen Streit schließlich die Freiheit seiner Heimatstadt hinzugeben half ..." (S. 328 f.). Dieses Bild von Gutenberg soll originell sein, es wäre es in der Tat, wenn es durch Quellen zu belegen wäre. Die sucht man weitgehend vergebens.
Die Fehlurteile Venzkes sind nicht zuletzt auf mangelnde Literaturkenntnis zurückzuführen. Selbstverständlich ist nicht zu erwarten, daß die gesamte Gutenberg- und Frühdruck-Literatur berücksichtigt und angeführt werden sollte. Aber wichtige Publikationen dürfen nicht übergangen werden, so P. Schwenkes Ergänzungsband zur Faksimile-Ausgabe der Gutenberg-Bibel (1923), die umfangreiche Einleitung zur Faksimile-Ausgabe der Mazarin-Bibel in Paris (1985), das Gutenberg-Symposion (GJ 1983), G. Powitz’ Buch über "Die Frankfurter Gutenberg-Bibel" (1990), Bechtels Gutenberg-Buch, K. Haeblers Handbuch der Inkunabelkunde (1925, engl. 1967), F. Geldners Inkunabelkunde (1978) u. a. m. Wenn auch das umfangreiche Werk von M. Gieseke (bei V. fälschlich Giesecke): Der Buchdruck in der frühen Neuzeit genannt wird, fehlt jeder Hinweis, daß es benutzt wurde, und jedes Anzeichen einer Auseinandersetzung damit. Zu den überspitzten und eigenwilligen Urteilen paßt es, daß Venzke oft die Autoren der zitierten Bücher oder Aufsätze zu charakterisieren oder ihren Beruf anzugeben versucht: F. Geldner wird als "Oberregierungsbibliotheksrat" vorgestellt (S. 37 und S. 205), in Wirklichkeit war er damals, 1975, Bibliotheksdirektor, Gottfried Zedler ist ihm der "berühmt-berüchtigte Gutenberg-Forscher" (S. 117), Wieland Schmidt ist "erster Direktor und Ordinarius für Bibliothekswissenschaft" "S. 161, ohne Angabe, wo er dies ist bzw. war), was nicht korrekt ist (Schmidt war Direktor der FU-Bibliothek und apl. Professor), William Burton Todd ist ihm der "hochmütige Todd" (S. 226), Paul Needham faßte seine Erörterungen über das Druckjahr des Catholicon "hörbar schwer durchatmend" (S. 268) zusammen usw. - Auch von grammatischen und ähnlichen Schnitzern ist der Text nicht frei, so wenn es S. 11 heißt: "... von dem erwähnten Aloys Ruppel, einer der wichtigsten Persönlichkeiten ..." oder S. 19: "... Ethos; dieser manifestierte sich ..." oder: "Seit dem Amtsantritt des opportunistischen Strategen Enea Silvio Piccolomini zum Papst Pius II." (S. 281). Von Wunderlichkeiten dieser und anderer Art ist das Buch voll.
Die Bücher über Gutenberg von Albert Kapr und Andreas Venzke sind durch Guy Bechtels Monographie weithin überflüssig und überholt.

(Aus: Gutenberg-Jahrbuch 1994. S. 18 - 21. Mainz. ISBN 3-7755-1994-7)

Totentanz

Man hat also schweres Geschütz gegen Venzkes Biographie aufgefahren. Immerhin waren in der über 60jährigen Veröffentlichungsgeschichte des Gutenberg-Jahrbuchs bis dato ausdrücklich keine Rezensionen erschienen. Allerdings strotzt Koppitz’ Rezension derart von Unterstellungen, Verdrehungen, Fehlern, falschen Behauptungen, daß der Angegriffe dies so nicht stehenlassen wollte. Leider half aber selbst der Appell an Fairneß nicht - das Gutenberg-Jahrbuch blieb für eine Richtigstellung verschlossen.
So erscheint diese nun hier - einmal mehr ein schönes Beispiel dafür, wie fachspezifisch, spitzfindig, gar possenhaft es in der (Druck-)Forschung zugeht.

Andreas Venzke: Eine Richtigstellung

Seitdem im Gutenberg-Jahrbuch 1994 Hans-Joachim Koppitz’ Rezension meiner Biographie über Johannes Gutenberg (Benziger-Verlag; Zürich 1993) erschienen ist, frage ich mich: Wozu dient Unsachlichkeit? Wozu dient Polemik? Als Auszug aus einer halben Seite seiner Rezension ließe sich in Sachen Unsachlichkeit auflisten: "Die sucht man weitgehend vergebens."; "Auch von grammatischen und ähnlichen Schnitzern ist der Text nicht frei [...]"; "Von Wunderlichkeiten dieser und anderer Art ist das Buch voll." - in Sachen Polemik: "Das letzte Kapitel ’Und die Folgen’ macht uns in der Hauptsache mit Venzkes ’Philosophie’ über die folgenden Jahrhunderte der Schriftentwicklung bekannt, worauf einzugehen nicht nötig ist."
Ich frage mich darüber hinaus: Woher rührt diese weitgehende Unsachlichkeit dieser und anderer Art, diese und ähnliche Polemik, auf die einzugehen nötig wäre? An einer Stelle der Rezension heißt es: "Auch dabei wird Gutenberg möglichst herabgesetzt [...]" Ich sage mir: Dieser gleichfalls unsachliche Einwand böte eine Erklärung. Aber wie kann jemand aus der Lektüre meines Buches schließen - wie kann mir überhaupt jemand unterstellen, ich wolle eine vor über 500 Jahren verstorbene Persönlichkeit denunzieren?
So frage ich nicht weiter nach Gründen und sage einzig: Derart verschroben, verdreht und falsch ist Koppitz’ Rezension meiner Biographie, daß sich seine Einwände nahezu sämtlich widerlegen lassen.
Koppitz’ erster Einwand lautet: "Daß Gutenberg mit dem Massenartikel Buch Geld verdienen wollte, das ist nicht neu, daß er ein verschlagender Geschäftsmann war, läßt sich aus den Quellen nicht so leicht herauslesen, wie dies Venzke vorführen möchte. Dazu ist die Zahl der aussagekräftigen Archivalien und zeitgenössischen Zeugnisse viel zu klein und verbietet solche Pauschalurteile. Zu diesem Bild von Gutenberg paßt es, daß Venzke immer wieder in ihm einen rücksichtslosen Junker, ’ein adeliges Kind der Zeit’ sah, der eher der mittelalterlichen Welt als der Neuzeit zugehört. Die Beweise für solche Urteile bleibt Venzke weitgehend schuldig." Wo in meiner Biographie erhebe ich den Anspruch, "Beweise" liefern zu wollen? Schon über Indizien zum Leben Gutenbergs kann man erfreut sein, und die liefere ich genug. Wenn die überlieferten Dokumente jemanden zeigen, der im ausgehenden Mittelalter das Recht in die eigene Hand nimmt, der in seiner Heimatstadt so verbohrt für die Rechte der Patrizier kämpft, daß er seinen Bann in Kauf nimmt, der einer Adeligen das Eheversprechen bricht und einen Handwerker öffentlich mit schlimmen Schmähworten überzieht, der in einem Prozeß um die Herstellung von Pilgerzeichen mitleidlos seinen Vorteil wahrt, der Gelder aus einem gemeinschaftlichen Druckereibetrieb für private Zwecke abzweigt - wie anders denn als typisches, adeliges Kind seiner Zeit, als jemanden, der sich rücksichtslos durchzusetzen bestrebt war, will man einen solchen charakterisieren? Daß hingegen die Gutenberg-Gesellschaft kräftig mitgeholfen hat, das Gegenteil dieser Charakterisierung zu tradieren, wonach ausgerechnet Gutenberg gekennzeichnet wurde als betrogener, genialer Künstler, der seiner Zeit voraus gewesen sei - das ist vielleicht verständlich, jedenfalls nachvollziehbar; aber "das geht mich nichts an", um die Worte des Buchdruck-Erfinders zu gebrauchen.
Koppitz erklärt weiter: "Denn daß Gutenberg nicht vorbehaltlos als Patrizier galt, ist schon daraus zu schließen [...]" Behaupte ich irgendwo anderes, als daß Gutenbergs Ahnenreihe nicht "astrein" war? Ich schreibe eben dies und folgere zudem, weil seine Ahnen nicht alle "of de monze" gehörten, habe er sich wohl um so stärker als Adeliger herausstellen wollen.
Koppitz nächster Einwand lautet: "Im Kapitel über die ’Ausfahrt in die freie Reichsstadt Straßburg’ erfahren wir zu unserem Erstaunen, daß Johannes Gutenberg wegen der Rentenübertragung, die urkundlich bezeugt ist, sich mit seinem Bruder Friele überworfen hätte, ein weiteres Zeichen für die ’Unerbittlichkeit’ seines Charakters." Auch diese Darstellung ist falsch. Was ich konstatiere, ist, daß zu einer Zeit, als Johannes Gutenberg bedingungslos für die Patrizier kämpfte und aus der Stadt ausgefahren war, sein Bruder als Mitglied des Mainzer Stadtrates ausgewiesen ist. Friele stand also auf Seiten des politischen Gegners. Wer kann wohl angesichts einer solch extremen politischen Gegensätzlichkeit von einer fortbestehenden Freundschaft zwischen den beiden Brüdern ausgehen? Erst nach dieser Darstellung schreibe ich: "Ein Indiz für die entschiedene Zerstrittenheit der Brüder wäre auch darin zu sehen, wie die Vormundschaft über die verbliebenen Kinder des Verstorbenen geregelt wurde" (S. 54), wonach sich nämlich der Name des Friele in dem entsprechenden Dokument nicht findet.
Der nächste Einwand: "Die Gefangennahme des Nikolaus von Wörrstadt [...] beruhte nicht auf veraltetem Recht, wie V. es darlegt, sondern wurde auch sonst damals praktiziert." Gewiß ging es im Falle der Festsetzung des Mainzer Stadtschreibers nicht um das sogenannte Einlager, worauf K. wohl anspielt, da Nicolaus von Werstad dem in Straßburg "ausländigen" Gutenberg ja nicht als diesem persönlich haftender Bürge "begegnete". Wie ich dies in meiner Biographie zeige, wurde Nicolaus von Werstad als Vertreter der Stadt Mainz in persona von Gutenberg "gepfändet", d. h. als Geisel festgehalten. Und zum Stichwort "Geisel" heißt es etwa im bekannten "Lexikon des Mittelalters", wissenschaftlich formuliert: "Die urtüml. Pfandhaftung einer Person (oder mehrerer) wurde sowohl zum Zwecke der Garantierung der Leistung eines Dritten (Drittg.) wie auch einer eigenen Leistungspflicht durch den Schuldner selbst als Selbstvergeiselung bzw. Selbstgeiselhaft gegründet [...] Als Drittg. kam etwa ein Verbündeter in Frage. Die sehr weit verbreitete Geiselschaft befand sich schon zur Zeit der germ. Volks- und Stammesrechte im Absterben. Im Verlaufe des FrühMA war der G. bis auf unbedeutende Reste verschwunden."
Weiter fährt Koppitz fort: "Besonders überrascht, wie Venzke Gutenbergs Bruch des Verlöbnisses mit Ennelin von [nicht "von": "zu" - A. V.] der Iserin Tür darstellt. Demnach hätte er mit diesem Mädchen eine heimliche Ehe geführt und wäre deshalb von ihr wegen des gebrochenen Eheversprechens verklagt worden! Auch dabei wird Gutenberg möglichst herabgesetzt; Venzke nimmt an, daß es ihm dabei ums Geld ging, er aber den übereilten Schritt dann rückgängig machen wollte (warum?)." Diese Darstellung ist so überaus falsch, daß man meinen könnte, Koppitz reflektiere eher darüber, was er sich denkt, das ich schreibe, und nicht darüber, was er geschrieben vorfindet. Tatsächlich schreibe ich (eher am Rande): "Spräche zwar die Möglichkeit, daß sich Gutenberg unter einem rein ökonomischen Kalkül zu jenem Eheversprechen hatte hinreißen lassen, eher gegen alle Wahrscheinlichkeit des Lebens in praxi, ist doch auch diese Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen." (S. 74) Und warum soll überraschend sein, was aus den Dokumenten eindeutig geschlußfolgert werden kann, daß Gutenberg in der Tat mit dieser Adeligen eine "heimlich" genannte Ehe eingegangen war, i. e. sie verführt hatte, und deshalb von ihr wegen dieses "gebrochenen Eheversprechens" verklagt wurde?
Weiter: "Ohne Ungenauigkeiten geht es auch hier nicht ab, so etwa, wenn die Rede von Halbedelsteinen (S. 81) ist, wie dies auch sonst nicht selten in der Literatur zu lesen ist; denn der Ausdruck Halbedelsteine ist seit längerer Zeit von der Fachwelt als unzulässig erklärt worden." Was läßt sich zu einem solch gewichtigen Vorwurf anführen? - vielleicht am ehesten ein Zitat eben der "Fachwelt", das von Heinz Hugo Schmiedt aus demselben Gutenberg-Jahrbuch stammt: "Ein Vermerk in den Prozeßakten besagt, daß Gutenberg einem seiner Gesellschafter das ’steine bollieren’ beigebracht habe. In der Literatur wird dies vielfach mit dem Schleifen von Edelsteinen gleichgesetzt. [...] Das Edelsteinschleifen ist ein schwieriges und mühseliges Handwerk, dessen Auftrag [der Auftrag des Handwerks? - A. V.] wenig schöpferischen Freiraum bietet. Man kann sich kaum vorstellen, daß der genialische Patrizier und Manager Gutenberg Zeit, Lust und Geduld hatte, es zu erlernen [...] Vermutlich [Hervorhebung von mir - A. V.] war mit dem ’stein bollieren’ das Entgraten und Glätten der Spiegelrohlinge gemeint [...]"
Weiter: "[...] wobei anzumerken ist, daß (Aemilius) Donatus [...] fälschlich als ’altrömischer Sprachlehrer’ (S. 121) bezeichnet wird." Ich verweise auf den Eintrag zu "Donatus, Aelius[!]" im "Pauly": "[...] lebte nach dem Zeugnis seines Schülers Hieronymus [...] um die Mitte des 4. Jhdts. in Rom." Daneben möchte ich sowohl aus dem Grimmschen Wörterbuch zitieren, wo es unter dem Eintrag "Altrömisch" heißt: "latinus, gegensatz des neurömischen, italienisch" - als auch aus dem "Brockhaus-Wahrig", wo sich unter "altrömisch" findet: "aus dem alten Rom stammend, zu ihm gehörig"
Weiter: "Die Legenden wiederzugeben, die in die Welt gesetzt wurden, um Gutenberg den Ruhm des Erfinders der Typographie streitig zu machen, mag in einem populärwissenschaftlichen Buch wie dem vorliegenden angehen, in einem wissenschaftlichen Werk wären und sind sie überflüssig, so die Berichte über Johannes Brito, L. J. Coster und Prokop Waldfogel, über die genügend geschrieben worden ist, ebenso über die Konkurrenten Gutenbergs, die Venzke nicht erwähnt." Diese verdrehte Argumentation, mich der "Populärwissenschaftlichkeit" zu zeihen und mich zugleich an "Wissenschaftlichkeit" zu messen, muß man sich auf der Zunge zergehen lassen! Hauptsache: Semper aliquid haeret.
Weiter: "[...] wir werden über den Buchmarkt des 15. Jahrhunderts unterrichtet, so über Diebold Laubers Programm, das allerdings weniger durch religiöse Erbauungsliteratur, wie dies Venzke ausführt, als durch weltliche Epik auffällt." Unter den 40 Büchern, die in Loubers "Verlagsprogramm" aufgelistet sind, lassen sich die epischen Werke an einer Hand abzählen; es finden sich aber darin über ein Dutzend Titel religiöser Werke.
Weiter: "[...] erwartet man, ebenso, daß wieder Ungenauigkeiten vorkommen, so etwa wenn von einem Paulinus beim Druck von Ablaßbriefen die Rede ist (S. 193), während es sich vielmehr um Paulinus Chappe, den zypriotischen Gesandten handelt [...]" Ich schreibe über die Zyprischen Ablaßbriefe, daß in diesen die Auszeichnungsschrift "für den Namen des Herausgebers (Paulinus) [dessen Vorname ist nämlich hervorgehoben - A. V.] nur eine Abart entweder der B-42-Type oder der B-36-Type" darstelle. Gewiß, die Bezeichnung "Herausgeber" ist nicht ganz glücklich gewählt.
Weiter: Ich bin in meiner Biographie an einer Stelle von zwei anstatt drei Leipziger Exemplaren der B-42 ausgegangen. Ein Fehler, in der Tat!
Weiter: "Daß diese ’analytical bibliography’ nichts anderes ist als die Fortführung deutscher Methoden [...], scheint Venzke unbekannt zu sein." So wird dies auch einem Severin Corsten unbekannt sein, dessen Zitat ich in meiner Biographie anführe: "’Wenn wir ehrlich sind, müssen wir gestehen, daß der entscheidende Schlag der im angelsächsischen Raum entwickelten analytical bibliography gelungen ist.’" (S. 253)
Es folgen zwei weitere Einwände, auf die ich erst am Schluß eingehen kann.
Weiter im Text: "Aber wichtige Publikationen dürften nicht übergangen werden, so [...]" Welch kurioser Vorwurf, da ich mich doch angesichts der Vielzahl der von mir studierten Schriften ausdrücklich darauf beschränkt habe, eine "Liste aller zitierter [!] Literatur" anzufügen!
Weiter: "Wenn auch das umfangreiche Werk von M. Gieseke (bei V. fälschlich Giesecke): der Buchdruck in der frühen Neuzeit genannt wird, fehlt jeder Hinweis, daß es benutzt wurde [...]" Ich räume es ein: Eine weiterer von K. entdeckter Fehler!
Ein letzter Vorwurf wäre, daß ich Ferdinand Geldner als "Oberregierungsbibliotheksrat" bezeichnet habe und Wieland Schmidt als "ersten Direktor und Ordinarius für Bibliothekswissenschaft", Angaben, die ich nicht auf ihre Aktualität überprüfte. Man verzeihe mir.
Was bleibt, sind die angezeigten drei oder vier "Fehler", "Irrtümer", "Ungenauigkeiten", die ich zur Korrektur dankbar annehme. Aber hätte ich nicht als irrendes Menschlein um die Möglichkeit solcher Lapsus gewußt? Ausdrücklich möchte ich in meiner Biographie auf die "Vorbemerkung" verweisen ...
Was aber sind dies nun für Einwände gegen ein Werk, das einen anderen Anspruch an die Biographie Gutenbergs erhebt als die gewissermaßen "traditionellen" Postulate, insbesondere einer Gutenberg-Gesellschaft? Was ist eine Rezension, die alle wesentlichen Thesen meiner Biographie übergeht und sich an vergleichsweise unbedeutenden Fehlern aufhängt - eine Rezension, die darin besteht, daß man ein Buch ansieht gleich einem Orientteppich, in dem es Webfehler zu entdecken gilt? Ich kann dazu hier meine Meinung nicht formulieren.
Weil mir allerdings Koppitz vorgemacht hat, mit einem Hinweis in Sachen Sprachgebrauch zu schließen, möchte auch ich dies tun. Er schreibt: "Auch von grammatischen und ähnlichen Schnitzern ist der Text nicht frei, [...]" Es folgen drei "Schnitzer", die auf den Seiten 11, 19 und 281 gefunden wurden. Nach deren Auflistung urteilt Koppitz: "Von Wunderlichkeiten dieser und anderer Art ist das Buch voll." Unter diesen drei "Schnitzer"-Funden ist der zweite ein falscher Kasusgebrauch (der anstatt das Ethos), der dritte eine schiefe Formulierung ("Amtsantritt zum Papst") und der erste ("von dem erwähnten Aloys Ruppel, einer der wichtigsten Persönlichkeiten") korrektes Deutsch. Ich danke für die beiden Korrekturangaben, meine jedoch, daß auch (und besonders) im
Umgang mit Sprache Fehler - und Fehler im Erkennen von Fehlern - nur allzu menschlich sind, "wunderlich" nicht. In diesem
Sinne würde ich auch den Sprachgebrauch in Koppitz’ knapp drei Seiten langem Text nicht als wunderlich bezeichnen: "Nachdem Albert Kapr 1986 sein Buch [...] veröffentlicht hat, brachte [...]"; "Zu diesem Bild von Gutenberg paßt es, daß Venzke in ihm immer wieder ’ein adeliges Kind der Zeit’ sah [...]"; "[...] was Venzke mit Recht offen läßt [...]"; "[...] als ob dieser wichtige Begriff [...] etwas Obskures sei."; "Aber wichtige Publikationen dürften nicht übergangen werden [...]".
Schulmeisterlich folgere ich, daß nun diese "grammatischen Schnitzer" von systematischen Schwierigkeiten im Sprachgebrauch zeugen, vor allem beim Einsatz der korrekten Verbform. Darauf hinzuweisen, erspare ich mir schon deswegen nicht die Peinlichkeit, um folgendes herauszustellen: In Koppitz’ gesamtem Text wird die indirekte Rede falsch gebraucht, nämlich stets entweder in der Indikativform wie etwa, "Daß er wieder einmal in ’rücksichtsloser Geschäftsmanier’ (S. 95) gegen seine Partner in Straßburg nach Venzkes Überzeugung vorging, [...]" - oder in der Form des zweiten Konjunktivs, "Demnach hätte er mit diesem Mädchen eine heimliche Ehe geführt und wäre deshalb von ihr wegen des gebrochenen Eheversprechens verklagt worden!". Wäre die indirekte Rede richtig gebraucht worden, läsen sich wenigstens diese entsprechenden Passagen so, wie sie wohl gemeint waren: sachlicher.
In der Hauptsache lasse ich mich aber auf diese peinliche Schulmeisterlichkeit ein, weil sich anscheinend nur so jene zwei Einwände erklären lassen, die ich zuvor übergangen habe. Koppitz schreibt: "Wenn es im gleichen Kapitel (’Weitere neue Wege’) heißt, daß Peter Schöffer ’bald auch profane und erste deutschsprachige Werke [","; falsch zitiert - A. V.] wie ein ’Kräuterbuch’, ’Gart der Gesundheit’ ["der ’Gart der Gesundheit’"; falsch zitiert - A. V.], oder ein Geschichtswerk der Niedersachsen, die ’Cronecken der Sassen’ des Konrad Bote’ druckte, dann kann man nur sagen: ’Hier irrt Venzke’; [...]" Anschließend bringt Koppitz eine ganze Auflistung von deutschsprachigen Titeln, die bereits zuvor gedruckt worden waren, und er folgert: "Überhaupt gewinnt man den Eindruck, daß Venzke kaum mit Einzelheiten der Buchproduktion des 15. Jahrhunderts vertraut ist." (Dabei führt er als weiteres Beispiel an, in meinem ausdrücklich "populär"-wissenschaftlich verfaßten Buch sei "kein Hinweis auf Inkunabelverzeichnisse wie den Gesamtkatalog der Wiegendrucke und seine Vorgänger (Hain, Copinger usw.) zu finden". - Ich wollte vermeiden, daß sich meine Biographie stellenweise ähnlich einem Kursbuch ausnähme!) Ich will angesichts einer solchen Darstellung von nichts anderem als sprachlichem Unvermögen ausgehen, wenn mir unterstellt wird, ich würde meinen, bei Peter Schöffer wären die ersten deutschsprachigen Werke gedruckt worden und nicht erste, d. h. erste Werke unter anderen. Hätte ich "die ersten deutschsprachigen Werke" gemeint und mich also geirrt - ich hätte es mit Sicherheit so geschrieben.
Ebenfalls mit einem sprachlichen Phänomen hat der letzte der beiden Einwände zu tun, die ich hier erst am Schluß aufführe - allerdings mit einem gewissermaßen metasprachlichen Phänomen, der Ironie. In Koppitz’ Rezension heißt es im Satz zuvor: "Fragliche Bemerkungen kommen aber auch hier wieder vor, wenn er darauf hinweist, daß es damals so ’etwas Obskures wie das ’geistige Eigentum’’ als Begriff nicht gab (S. 278), als ob dieser Begriff [...] etwas Obskures sei." Ich erkenne den ehrfürchtigen Ernst dieser Welt, wenn mir als Autor unterstellt wird, ich wisse nicht um die Wichtigkeit des rechtlichen Schutzes von geistigem Eigentum und ich hätte folgenden Satz nicht mit einer gewissen Ironie geschrieben: "[...] so kann ein solches Verhalten [von Peter Schöffer, nämlich Gutenberg nicht kategorisch den Erfinderruhm zuzusprechen - A. V.] in keiner Weise mit den Moralmaßstäben der heutigen Gesellschaftsordnung gemessen werden, die auf das Individuelle des Menschen abzielt, Benutzer und Patentrechte kennt und selbst etwas derart Obskures wie das ’geistige Eigentum’ schützt." (S. 278)
Ich will und kann mich hier nicht fragen: Wozu dient eine solche Rezension? Ich kann hier nur feststellen: Solange die Aussagen meiner Biographie anders denn auf Koppitz’ Weise nicht widerlegt werden - solange gelten sie.

Büchernarr

"Fehler im Erkennen von Fehlern"? Hierzu eine Stellungnahme, vielleicht
einzuordnen unter "Fehler im Beschreiben von Fehlern im Erkennen von Fehlern".

Sehr geehrter Herr Venzke,

ich habe mit Interesse Ihre Auseinandersetzung mit Koppitz’ Rezension zu Ihrer Gutenberg-Biographie gelesen. Auch wenn ich mir zu den Inhalten noch keine Meinungsäußerung erlauben möchte, kann ich mir einige Bemerkungen zum Thema Sprachgebrauch nicht verkneifen. Bei dem Beispiel "Ethos; dieser manifestierte sich..." (Koppitz) bzw. "(der anstatt das Ethos)" (bei Ihnen) handelt es sich nicht etwa um "falschen Kasusgebrauch", sondern um einen Genusfehler. Was die bezüglich der Verbform zitierten Stellen bei Koppitz angeht, kann ich Ihnen nur zustimmen: Diesen Sprachgebrauch würde ich nicht als "wunderlich" bezeichnen! Einzig bei dem Beispiel "Nachdem Albert Kapr 1986 [...] veröffentlich hat, brachte [...]" würde ich vielleicht ob des Tempusgebrauchs (Vorzeitigkeit!) die Stirn runzeln. Ihren Vorwurf des falschen Gebrauchs der indirekten Rede halte ich für zu weit hergeholt. Die Verwendung des Konjunktivs II zum Ausdruck eines (aus Koppitz’ Sicht) irrealen Sachverhaltes beispielsweise ist korrekt ("Demnach hätte er mit diesem Mädchen eine heimliche Ehe geführt [...]"). Im Übrigen liegt in dem Satz "Daß er wieder einmal [...] vorging, überrascht freilich nicht mehr" keine indirekte Rede vor.

Mit freundlichem Gruß,

Ulrich Real