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Ötzi und die Offenbarungen einer Gletschermumie

Arena-Verlag, Würzburg 2012

Samstag 15. Februar 2014, von Andreas Venzke

Mein vorerst vorletztes Buch in der Arena-Reihe Bibliothek des Wissens – auch eine kleine philosophische Betrachtung über das Leben und den Tod des Menschen im Allgemeinen. Das kommt auch hier ganz nett zum Ausdruck ...

Besprechungen

„[...] frech und witzig. Insgesamt sehr unterhaltsam und ansprechend [...]“
ekz-Informationsdienst

„Auch als Erwachsener kann man in diesem Buch wirklich viel lernen - und das, ohne dass auch nur eine Sekunde lang Langeweile aufkommt! Als ’Ötzi’ gefunden wurde, war ich selbst noch ein Kind, trotzdem hat mich das Thema damals fasziniert. Ich hätte dieses Buch sicher verschlungen! Neben den Texten findet man auch viele witzige Bilder im Comic-Stil sowie Fotografien in Schwarz-Weiß. Fazit: So sieht lebendige Vor- und Frühgeschichte aus! Ich kann das Buch allen Interessierten (auf alle Fälle auch Erwachsenen, die eine kleine und unterhaltsame Einführung ins Thema lesen möchten!) nur empfehlen.“
Biene Maya 2013, amazon

„In einer fiktiven Erzählung schildert Ötzi selbst, wie er aufgefunden wurde und welche Seltsamkeiten ihm in dieser neuen Welt begegnen. Das wirkt etwas aufgesetzt und gekünstelt. [...] Man wird sehen, wie Kinder auf diese Art von Sachbuch reagieren.“
Josef Kunz
bibliotheksnachrichten

„Bei Ötzis Selbstgesprächen ist besonders witzig, wenn er sich über die Verhaltensweisen der Menschen von heute Gedanken macht, sie nicht einordnen kann oder sich drüber lustig macht. Dann hält er uns den Spiegel vor, die wir denken, aufgrund der Technik alles zu wissen.“
Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW, Thüringen

„Ötzi beweist als Ich-Erzähler Witz, Intelligenz und Sachkompetenz [...] Störend ist nur der österreichische Dialekt. Und die vertrockneten Augäpfel erscheinen makaber – bei allem Entzücken, das die Eismumie ansonsten auslöst.“
Nathalie Fasel
Querlesen

„Andreas Venzke bietet auf unterhaltsame und dennoch überaus informative Art einen spannenden Einstieg in die Welt der Archäologie und der Frühgeschichte. [...] Unterrichtsunterlagen des Arena-Verlags für eine Beschäftigung mit dem Thema im Unterricht machen das Buch nicht nur zu einem spannenden Unterhaltungs- und Sachbuch für junge Leserinnen und Leser, sondern auch für den Schulunterricht empfehlenswert.“
Andreas Markt Huter
Lesen in Tirol

„Dieser Mix zwischen Erzähl- und Sachkapiteln macht auch den besonderen Reiz des Buches aus, das keinen Moment Langeweile aufkommen lässt, obwohl es mit einer Fülle an Sachinformationen aufwartet.“
Birgit Geistbeck
www.der-buchleser.de

„Die Schilderungen sind zum Teil etwas makaber vor allem wenn Ötzi selbst erzählt. Da liegt er nun stundenlang und immer wieder auf dem Seziertisch und macht seine Gedanken über unsere heutige Welt. Vor allem Jesus Christus kommt häufig ins Spiel, man weiß bloß nicht warum.“
Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW, Bremen

„Das Buch ist [...] für alle Bestände sehr zu empfehlen.“
Julia Massenkeil-Kühn
Buchprofile – Medienempfehlungen für die Büchereiarbeit

„Mir gefällt gut, dass der Autor auch Ötzis Gefühle nachvollziehbar darstellt, so äußert Ötzi zum Beispiel, dass ihm sein Name überhaupt nicht gefällt. Lobenswert finde ich auch, dass Andreas Venzke die Fakten und die Geschichte über Ötzi richtig spannend verpackt hat, selbst wenn man schon einiges darüber weiß oder in Bozen im Museum gesehen hat. Ich empfehle dieses Buch für jeden Ötzi-Kenner und alle, die es werden wollen.“
Tobias, 12 Jahre
www.buecher-leben.de

„Das Buch ist sehr spannend, so ein Buch könnte man sogar im Geschichtsunterricht lesen und besprechen.“
Jonas (11) aus Zwickau
KIKA

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Leseprobe

Der geheimnisvolle Ötztal-Mann

Auch wenn wir Menschen es bis zum Ende oft nicht glauben wollen – nach dem Tod werden wir zwar nicht unbedingt zu Staub werden, wie es in der Bibel heißt, aber bestenfalls einen guten Humus abgeben! In der Geschichte haben wir trotzdem immer wieder versucht, wenigstens den Körper Verstorbener zu bewahren. Plötzlich zeigt die Natur selbst, dass sie auch ganz anders kann. 1991 findet sich die vollständig erhaltene Leiche eines Menschen, aufbewahrt im Eis der Alpen seit über 5.000 Jahren: Eine unvorstellbar lange Zeit. Und nicht nur das: Auch seine Ausrüstung ist erhalten geblieben, sogar einzelne Haare, die sonst in kürzester Zeit vergangen sind. Dieser Mann im Eis hat die Kenntnisse über unsere Vorgeschichte schlagartig erweitert: Am Ende der Steinzeit stieg ein schon fast 50 Jahre alter Mann mit Leichtigkeit in eine Region auf, in der auch wir heutigen Menschen ohne technische Hilfsmittel immer noch schnell den Tod finden können.
Aber die Geschichte von diesem Ötzi genannten Menschen ist nicht nur die seines Lebens: Er ist ein Spiegelbild von uns heutigen Menschen. Er hilft auch, unsere Zeit zu verstehen. Hier geht es um das eine und das andere Leben dieses Menschen, der – uns – vielleicht auf ewig erhalten bleiben wird.

Wie er gefunden wird

Ist mir heiß! Was ist denn nur los? Ist das nun meine zweite Geburt, von der wir immer gesprochen haben? Die würde aber ziemlich lange dauern. Schon seit ein paar Tagen rage ich aus dem Eis heraus, zuerst nur mein Hinterkopf, inzwischen fast mein ganzer Oberkörper. Und die Sonne brennt weiter vom Himmel und taut das Eis um mich her. So habe ich eigentlich keine Lust, wiedergeboren zu werden. Ich habe mir das doch anders vorgestellt. Wir haben es uns so schön ausgemalt, wenn wir am Lagerfeuer zusammensaßen: Im zweiten Leben sitzt man weich auf Fellen, schönen flauschigen vom Lamm, über dem Feuer brutzelt der Fleischspieß, berauschende Getränke kreisen und links und rechts hält man ein hübsches Mädchen im Arm. Stattdessen bin ich immer noch halb im Eis eingeklemmt und muss mich von der Sonne braten lassen. Da soll es jetzt mal wieder schneien! Da will ich doch lieber in Schnee und Eis begraben sein.
Irgendetwas stampft da auf mich zu! Das ist bestimmt ein Bär … Ich will nicht, dass es ein Bär ist! An mir ist nichts mehr dran! Ich bin nur noch Haut und Knochen. Geh mal schön weiter! Hier oben hast du sowieso nichts zu suchen! Das Stampfen wird leichter, vorsichtiger, kommt aber näher. Da reden zwei! Menschen! Die haben mich wohl gesehen. Hallo, tut mir nichts! Ihr seht ja nur meinen Rücken, wie damals, als der mich von hinten ... Menschen? Bären? Was ist gefährlicher?
„Helmut, schau doch mal!“, sagt eine Frau, „was da liegt!“
„Was ist das denn?“, antwortet ein Mann. „Was schmeißen die Leute überall ihren Müll hin! Ist das eine Riesenplastiktüte? Das würde mich gar nicht wundern. Bestimmt haben hier Italiener übernachtet. Die lassen doch überall ...“
„Oder ist das eine Puppe?“, unterbricht ihn die Frau. „Schau doch mal, Helmut!“
„Eine Puppe, Frau!“, sagt Helmut laut. „Wieso soll denn jemand hier auf über 3.000 Meter Höhe eine Schaufensterpuppe hochschleppen? Also Erika, denk doch mal nach! Obwohl ... Man weiß ja nie. Die Leute schmeißen ja auch Waschmaschinen in den Wald. Man muss nur mal vom Weg abweichen, wie wir jetzt ...“
Die beiden kommen näher und ich höre meistens Helmut aufgeregt sprechen: „Es gibt gar keinen Respekt mehr vor der Natur. Die Menschen müssen alles verschandeln! Man nimmt doch wenigstens seinen Müll ...“
Da ruft Erika: „Aber das ist ja ein Mensch!“
Lang hat’s gedauert, bis sie verstehen. Bin ich denn so schwer zu erkennen? Bestimmt durchsuchen sie mich jetzt, ob sie irgendwas Wertvolles an mir finden.
„Das gibt’s ja nicht!“, ruft Helmut ein paarmal. Er ist ganz außer sich. Hat er noch keinen Toten gesehen? „Das ist ja wirklich ein ..., das gibt’s gar nicht, ein Mensch ist das, wirklich ein Mensch! Warte du hier! Ich laufe schnell zu den beiden aus Österreich, mit denen wir gegangen sind und die ins Ötztal absteigen, und sage denen Bescheid ...“
Seltsam ist es, wieder menschliche Stimmen zu hören. Schnell entfernen sich Helmuts Schritte. Es ist wieder ganz still. Fein streicht der Wind über mich hinweg. Plötzlich fängt Erika an zu reden. Ich habe sie ganz vergessen: „Du armes Mädchen, was ist dir Schreckliches passiert? Wie lange steckst du denn hier schon im Eis? Du Arme, du! Aber jetzt kannst du beruhigt sein. Jetzt wirst du endlich ein richtiges Grab bekommen. Was nur deine Eltern sagen werden! Ob die noch leben? Du armes Mädchen!“
Bald höre ich wieder schwere Schritte und Helmut rufen: „Die sind schon weg. Ich habe sie nicht mehr gesehen. – Ist es noch da?“
„Ja, freilich!“, sagt Erika ganz nah bei mir.
Dann wird es wieder ziemlich still. Die beiden flüstern, als ob ich sie nicht hören soll. Sie schauen sich alles genau an, wie ich da liege, mit dem Gesicht im Schmelzwasser, während die Sonne mir auf den Rücken brennt. In meiner Mulde gehen sie vorsichtig umher, fassen mich aber nicht an. Sie finden meinen Gluteimer aus Birkenrinde, der wohl immer noch zu gebrauchen wäre. Ein guter Eimer!
„Was soll das wohl sein?“, fragt Helmut.
Dann finden sie noch etwas, was sie Gummiband nennen. Erika sagt dazu: „Die Arme ist vielleicht beim Skifahren gestürzt“, und sie sagt noch ein paarmal: „Die Arme!“
Skifahren? Ich verstehe gar nichts, auch nicht, als Helmut sagt: „Ich mach noch ein Foto und dann gehen wir!“
Was ist das denn für eine Welt, in der ich da aufgewacht bin? Kennen die keine Gluteimer? Die Schritte der beiden entfernen sich. Es ist wieder still, herrlich still, wie ich es gewohnt bin. Mal sehen, ob es so bleibt. Bestimmt schneit es bald wieder und vielleicht verschwinde ich dann wieder in meinem Bett aus Schnee und Eis.
Es dauert nicht lange, da höre ich neue Schritte, und wieder Stimmen, diesmal von zwei Männern.
„Do hintn liegts, i sig sie schun. Kimm, Blaz, kimm!“
„Uh, Markus, das ist wirklich toter Mensch!“
„Schaug amol, wos dou nou olls ummerliegt“, ruft Markus.
"Wos was?", fragt Blaz.
"Was da noch alles herumliegt! Die Bretter da, oder die gebogenen Hölzer und hier die Schnüre. Die war mit Schneeschuhen unterwegs.“
„Oder mit Schlitten“, sagt Blaz.
„Mit der Rodel? Do heroubm?“, ruft Markus. „Und was ist das? Ein Eispickel? Schau mal, wie der gemacht ist, mit einem Klumpen Eisen wie ein Beil. Vom Bergsteigen hatte die Frau jedenfalls keine Ahnung.“
Er kommt zu mir und ich spüre seinen Atem.
„Lass Toten in Ruh!“, ruft Blaz, aber Markus fasst mich sogar an.
„Des sein decht Borthoor. Des isch a Monn, ganz gawiss.“
Dieser Markus kommt mir immer wieder ziemlich nahe. Ich muss wüst aussehen, schon weil ich meine ganzen Haare verloren habe. Auch habe ich am Hinterkopf ein Loch, weil ich mit der Stelle vorher schon mal aus dem Eis geragt habe. Aber will ich mich beschweren? Immerhin bin ich noch da und vielleicht wartet ja nun die schöne Feuerstelle auf mich. Aber irgendwie habe ich meine Zweifel. Die beiden sind mir nicht ganz geheuer. Die werden allen Bescheid sagen, fürchte ich. Wo hier nur so schnell die Menschen herkommen? Gibt’s hier oben jetzt so viele Jäger und Hirten? Auf jeden Fall ist’s jetzt vorbei mit der ewigen Ruhe. Da muss ich mir nichts vormachen. Ich merke, wie wohl ich mich fühle, als diese beiden jungen Männer endlich wieder gehen. Ich freue mich auf die klare kalte Nacht.

Eine Leiche im Eis

Es war Donnerstag, der 19. September 1991, als Helmut und Erika Simon aus Nürnberg den Fund ihres Lebens machten. Sie wollten an diesem Tag eigentlich nicht mehr in den Höhen des Alpenhauptkamms unterwegs sein. Aber am Tag zuvor hatten sie den Abstieg in ihren Südtiroler Urlaubsort nicht mehr geschafft und in der Similaunhütte übernachtet. Am nächsten Tag ließen sie sich von dem strahlend schöne Wetter zu einer weiteren Bergtour verleiten. Auf dem Rückweg kamen sie dann vom ausgewiesenen Pfad ab und mussten einer Mulde, in der sich Schmelzwasser gesammelt hatte, ausweichen. Dort sahen sie plötzlich etwas Braunes aus dem Eis herausragen ...
Damit der Eismann überhaupt gefunden werden konnte, spielte also der Zufall eine Rolle. Trotzdem lag der eigentliche Grund ganz woanders: Der Sommer dieses Jahres war außergewöhnlich warm und hätte in den Bergen sowieso mehr Eis zum Schmelzen gebracht als sonst. Dazu kam allerdings, dass schon im Frühjahr durch ein Naturphänomen große Mengen an Saharastaub durch die Atmosphäre getragen worden waren, der sich in den Alpen als dunkle Schichten absetzte. Das führte dazu, dass die Gletscher im folgenden Sommer wie unter einer schwarzen Folie lagen und atemberaubend schnell an Masse verloren. In jenem Jahr war der Eismann deswegen auch nicht die einzige Gletscherleiche, die man in den Alpen fand.
Am 7. August gab ein Gletscher zwei Leichen frei. Als angehende Bergführer waren sie 1953 in eine Gletscherspalte gestürzt. Am 24. August fand sich im Eis die Leiche eines weiteren Bergführers, der 1981 abgestürzt war. Am 29. August entdeckte man die Leichen einer Frau und eines Mannes, die bereits 1934 verunglückt waren: Die beiden hatten ein dreiviertel Jahrhundert im Eis überdauert. Am 19. September wurde schließlich jener weitere Mann gefunden – von dem hätte sich niemand vorstellen können, wie lange ihn das Eis bewahrt hatte.

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